rakel,
surrealistisches
Jetzt sehe ich Robert Desnos in jener Epoche wieder, die von denen, die sie
miterlebt haben, die Schlaf-Epoche genannt wird. Er »schläft«, doch er schreibt
und spricht. Ein Abend, bei mir, oberhalb des Kabarettes »Der Himmel«. Draußen
schreit man: »Herein, herein in die Schwarze Katze!« Und Desnos sieht fortwährend,
was ich nicht sehe, was ich immer nur dann sehe, wenn er es mir zeigt. Er leiht
sich die Persönlichkeit des seltsamsten der Lebenden aus, des am wenigsten festsetzbaren,
des enttäuschendsten, des Autors des Friedhofs der Uniformen und Livreen, Marcel
Duchamps. Er hat ihn nie gesehen in Wirklichkeit. Was als das Unnachahmbarste
Duchamps in einigen geheimnisvollen »Wortspielen« (Rose Sélavy) galt, ist bei
Desnos in seiner ganzen Reinheit wieder da und gewinnt plötzlich einen außergewöhnlichen
Umfang. Wer nicht gesehen hat, wie sein Bleistift ohne das geringste Zögern
und mit Wundergeschwindigkeit diese erstaunlichen poetischen Gleichnisse aufs
Papier brachte, und wer nicht wie ich sich vergewissern konnte, daß sie nicht
von längerer Hand vorbereitet werden konnten — selbst wenn er fähig ist, ihre
technische Vollendung zu schätzen und den unvergleichlichen Flügelschlag zu
beurteilen, er kann sich doch keine Vorstellung davon machen, was es damals
alles eröffnete, welch absoluten Orakelwert das annahm. Einer von denen, die
an diesen zahllosen Séancen teilgenommen haben, müßte sich die Mühe nehmen,
sie leidenschaftslos zu beschwören, sie mit Genauigkeit zu beschreiben, sie
in die tatsächliche Atmosphäre zu verlegen. Eine Erörterung sollte darüber eingeleitet
werden. Von so vielen Rendezvous, die mir Desnos mit geschlossenen Augen für
einen späteren Zeitpunkt mit ihm, mit irgend jemand anderen oder mit mir selbst
bestimmt hat, hätte ich noch immer nicht den Mut, ein einziges zu versäumen,
gäbe es nicht ein einziges, und sei es an unwahrscheinlichstem Ort und zu unwahrscheinlichster
Stunde, bei dem ich nicht sicher wäre, zu finden, was er mir angekündigt hat.
- (nad)
|
||
|
|
|