P-Schwester  Der Scherübl hat jetzt gearbeitet wie ein Operationsroboter. Diese Ruhe, das war für die Anna Elisabeth undenkbar, dass sie jemals so eine Ruhe haben könnte, und wenn sie zehnmal Latein geschafft hätte und Studium und alles. Sie wäre auf jeden Fall in Richtung ganzheitlich und Homöopathie gegangen. Auf keinen Fall Chirurgie. Dafür brauchst du die Ruhe von einem Scherübl. Aber nicht eine verschlafene Ruhe, eine hochkonzentrierte Ruhe, das war das Gegenteil von der schusseligen Wichtigtuerei eines Seyfried. Männlich, das war der Scherübl. Im guten Sinn. Und treu. Und gut im Operationssaal. Die Anästhesistin, die mit ihrem Raucherhusten fast den Patienten aufgeweckt hat, ist einmal voll beim Scherübl abgeblitzt. Das hat die Anna Elisabeth ihr gegönnt. Der Petri hat behauptet, dass die einen Totenkopf auf dem Arsch hat.

In dem Moment, wo sie gerade über den Totenkopf auf dem Arsch der nikotinsüchtigen Anästhesistin nachgedacht hat, ist der Blick vom Scherübl gekommen. Zuerst zu ihr und dann erst zum Harmann. Die Anna Elisabeth sofort mit der Hand zum Scherübl hinüber, und jetzt hat sie den Patienten zum ersten Mal aus der Nähe gesehen. Im Vergleich zu seinen Händen war er eine Enttäuschung. Irgendwas hat nicht gestimmt mit diesem Menschen, das hat sie gleich gesehen. So schöne Hände und so ein unangenehmes Gesicht. Was in dem seinem Leben wohl schiefgegangen ist? Weil das Gesicht zeigt dein Leben und die Hände deine Möglichkeiten. Ein blasses Gesicht, intelligent vielleicht, nervös oder depressiv oder sensibel, irgendwas in die Richtung. Und dann die vielen Tätowierungen auf seiner Hühnerbrust, die haben überhaupt nicht zu ihm gepasst. Dagegen der Scherübl. Bestimmt kein schöner Mann im herkömmlichen Sinn. Aber in sich so stimmig! Und erst, wenn er gearbeitet hat! Der Scherübl jetzt hochkonzentriert, das war wirklich ein Genuss, da hätte man Eintritt verlangen müssen.

Die Anästhesistin hat den Scherübl informiert, dass sie alles im Griff hat, und die Anna Elisabeth hat nur dem Scherübl zuliebe nicht laut zur Anästhesistin gesagt, dass sie dann ja eine rauchen gehen kann, weil es hat sie schon gewundert, wie lange die heute schon ihre Rauchpause hinausschiebt, da war der Nikotinentzug der Anästhesistin im Prinzip schon eine fahrlässige Gefährdung des Patienten.  - Wolf Haas, Brennerova. Hamburg 2014