ffenherzigkeit Eugen erinnerte sich, daß Diana einmal gesagt hatte, für ein neues Kleid schlafe sie mit jedem.
Das war früher gewesen. Jetzt hatte sie einen kläffenden Rauhhaardackel,
der Eugen in den Fußknöchel biß, wenn er ins Zimmer trat, dort unten im ersten
Stock, wo Hannes Biedermeiermöbel standen. Auf dem mit blauem Samt gepolsterten
Sofa saß Diana, das Haar brandrot gefärbt. Sie war dick geworden und pflegte
zu bemerken, sie müsse, ihrer Nerven wegen, reichlich Fett zu sich nehmen, denn
sonst ertrage sie ihre Mutter nicht. Und sie erzählte vom verstorbenen Papa,
der schmunzelnd gesagt hatte: »Also, nach dem Tod will ich euch alle nicht mehr
wiedersehen. Mir genügt's, daß ich euch hier begegnet bin.« Oder sie redete
offenherzig über alles, was mit der sogenannten Liebe zusammenhing, und sagte:
»Es ist natürlich toll, wenn einer so um dich herumhopft und schnauft.« - Hermann Lenz, Herbstlicht. Frankfurt
am Main 2000
Offenherzigkeit (2) Alles
an ihr hat den Anschein des Mutes, wo doch dieser äußere Schein nur zum
einen aus «Widerspruchsgeist», zum anderen aus «schamlosen Reden» besteht.
Madame Houïdnier hat die Manie, jedem und zu jeder Gelegenheit «ihre Meinung
zu sagen»: «Sie sind ein Gehörnter, mein armer
Jules! Wenn Sie es noch nicht wissen, ich sage es Ihnen! ... Ich bedauere
Sie, denn Sie verdienen es wirklich nicht, aber Sie sind es!» Oder: «Sie
spielen so stümperhaft Karten, meine arme Marie! Gehen Sie doch Strümpfe
stopfen, damit sind Sie weiß Gott besser bedient!» Eine Stunde später,
da sich die «arme Marie» (in diesem Fall die Marquise von X ...) die wegen
der Demütigung tränenvollen Augen wischte, küßte sie sie, nahm sie in die
Arme und schenkte ihr ein Armband, das sie gerade am Handgelenk trug. -
(jac)
Offenherzigkeit (3)
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