epferchen   Cathy war  elf und hatte längst aufgehört, Mutters Kleider anzuprobieren. Sie besaß jetzt selber Stiefel mit hohen Absätzen, durch die sie zehn Zentimeter größer wurde, sie hatte ihren eigenen Frisiertisch mit Lippenstiften, Make-up-Utensilien, Lockenwicklern, Brennschere, Haarwässern, künstlichen Augenwimpern und sogar eine Perücke auf einem Kunstkopf. Die Perücke hatte Cathy das Taschengeld von drei Monaten gekostet, obgleich die Eltern noch zwanzig Dollar zugeschossen hatten.

»Ich verstehe nicht, warum sie unbedingt wie eine dreißigjährige Frau aussehen will«, sagte Vic, Cathys Vater. »Sie hat noch viel Zeit bis dahin.«

»Oh, in ihrem Alter ist das ganz normal«, sagte ihre Mutter Ruby, obgleich sie genau wußte, daß es gar nicht normal war.

Cathy beklagte sich darüber, daß die Jungen hinter ihr her waren. »Sie lassen mich einfach nicht in Ruhe«, sagte sie eines Abends zu ihren Eltern - und zwar nicht zum ersten Mal. »Seht euch diese blauen Flecken an!« Cathy zog eine farbenfrohe Nylonbluse hoch und zeigte einige blaue Flecken auf ihren Rippen. Sie schwankte ein wenig auf ihren weißen Schuhen mit den hohen Blockabsätzen, über denen sie ganz unpassende gelbe Kniestrümpfe trug, die eher zu dem Führer einer Jugendgruppe gepaßt hätten.

»Du lieber Gott«, sagte Vic, der eben beim Geschirrabtrocknen war. »Sieh dir das an, Ruby! - Sag mal, Cathy - bist du nicht einfach irgendwo hingefallen?«

Ruby, an ihrem Abwaschbecken, war von den bräunlich-blauen Flecken nicht besonders beeindruckt. Sie hatte schon komplizierte Brüche gesehen.

»Die Jungen grabschen immer nach mir und zwicken mich«, jammerte Cathy.

Vic hätte am liebsten mit dem Teller geworfen, den er gerade abtrocknete, aber dann setzte er ihn doch ordentlich auf den Stoß im Schrank. »Ist das ein Wunder, Cathy? Wenn du dir lange falsche Wimpern anmachst - morgens um neun in der Schule! Also, Ruby, ich finde, sie ist selber dran schuld.«

Aber Vic konnte Ruby nicht dazu bringen, diese Meinung zu teilen. Ruby erklärte weiterhin, es sei normal für dieses Alter oder so ähnlich. Ihn hätte Cathy sicher abgewiesen, wenn er ein Junge von dreizehn oder vierzehn wäre. Aber er mußte selber sagen, daß Cathy wie ein Stück Freiwild aussah, wie etwas zum Umlegen für jeden dummen pubertären Jungen. Er versuchte, Ruby dieses klarzumachen und sie anzuhalten, daß sie etwas mehr aufpaßte.

Ruby sagte: »Weißt du, liebster Vic, du bist einfach ein überängstlicher Vater. Das gibt es öfter, und ich mache dir keinen Vorwurf deshalb. Aber du mußt das mit Cathy nicht so ernst nehmen, sonst wird alles nur noch schlimmer.«

Cathy hatte runde blaue Augen und lange Wimpern - schon von Natur aus. Ihr hübsch geschwungener Mund bog sich an den Mundwinkeln leicht nach oben, und das verlieh ihr ein reizendes und bereitwilliges Lächeln. In der Schule war sie ziemlich gut in Biologie, sie konnte gut Spiragyra zeichnen oder den Kreislauf eines Frosches oder den Querschnitt einer Karotte, wie man ihn unter dem Mikroskop sah. Ihre Biologielehrerin Miss Reynolds mochte sie und gab ihr Broschüren und Zeitschriften, die Cathy las und zurückgab.

In den Sommerferien, als Cathy fast zwölf war, begann Cathy per Anhalter zu trampen - ohne Grund. Die Kinder aus der Nachbarschaft fuhren immer zu einem kleinen See, der etwa 15 Kilometer entfernt war; dort konnte man schwimmen, angeln und Kanu fahren.

»Laß das doch mit dem Trampen, Cathy. Es ist gefährlich. Da fährt doch jeden Tag ein Bus hin«, sagte Vic.

Aber sie ließ sich nicht abhalten; Vic dachte: sie folgt wie ein Lemming ihrem Schicksal. Einer ihrer Freunde namens Joey, der fünfzehn Jahre alt war und ein Auto besaß, hätte sie gerne gefahren, aber Cathy mußte unbedingt Lastwagen anhalten. So kam es, daß sie das erste Mal vergewaltigt wurde.

Als sie zu Fuß am See ankam, machte Cathy eine Mordsszene. Sie brach in Tränen aus und sagte: »Ich bin eben vergewaltigt worden!«

Bill Owens, der Platzverwalter, fragte Cathy sofort nach der Beschreibung des Mannes und was für einen Lastwagen er gefahren hätte.

»Er hatte rotes Haar«, sagte Cathy unter Tränen. »Er war vielleicht achtundzwanzig. Er war groß und stark.«

Bill Owens fuhr Cathy im Auto ins nächste Krankenhaus . Cathy wurde von Journalisten fotografiert und bekam schönes Eis zu essen. Sie erzählte ihre Geschichte den Journalisten und Ärzten.

Drei Tage blieb Cathy zu Hause und wurde verwöhnt.   Der   geheimnisvolle   rothaarige  Unhold wurde nie gefunden, aber die Ärzte bestätigten, daß sie vergewaltigt worden war. Dann ging Cathy wieder zur Schule, bis zum Hals, ja bis zum Scheitel aufgeputzt, mit hohen Schuhen, Make-up, mit lackierten Nägeln, Parfüm und geteilten Brüsten. Sie zog sich weitere blaue Flecken zu. - Patricia Highsmith, Kleine Geschichten für Weiberfeinde. Eine weibliche Typenlehre in siebzehn Beispielen. Mit siebzehn Zeichnungen von Roland Topor. Zürich 1979 (detebe 20349)

 

Weibsstück Opfer Vergewaltigung

 

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