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Die Fedschr-Beduinen, die Bewohner dieser Ebene, nennen sie El Haul, um
ihrer trostlosen Öde willen. Und den ganzen Tag über trafen wir auf kein Zeichen
des Lebens, keine Gazellenfährte, keine Eidechse, kein Rattenloch, nicht einmal
einen Vogel. Wir fühlten uns winzig klein in dieser Grenzenlosigkeit, und unser
Vorwärtshasten durch solche Unermeßlichkeit war fast wie ein Stillstand, gleichsam
wie ein fruchtloses Auf-der-Stelle-Treten. Kein Laut war zu vernehmen, außer
dem hohlen Echo der polternden Stemplatten unterm Tritt der Kamele und dem harten
Rascheln des Sandes, der vor dem heißen Wind langsam nach Westen zu über den
rindenartig verwitterten Sandstein hinkroch.
Es war ein wahrhaft erstickender Wind, von Hochofenglut, wie man ihn in Ägypten unter dem Namen "Khamsin" kennt. Als die Sonne höher stieg, nahm er noch zu und füllte sich mit dem Staub der Nefud, jener gewaltigen Sandwüste Nordarabiens, die, obwohl nicht weit von uns entfernt, im Dunst unsichtbar blieb. Gegen Mittag schwoll er zu einem Sturm an von solcher Trockenheit, daß unsere ausgedörrten Lippen aufsprangen und die Haut im Gesicht zerriß, während die Augenlider, körnig von Sand, gleichsam einzuschrumpfen und die in die Höhlen gesunkenen Augen bloßzulegen schienen. Die Araber wickelten sich die Kopftücher fest über die Nasen und zogen sie von oben herunter über die Augen wie ein flappendes Visier mit schmalem Sehschlitz.
Um den Preis, lieber zu ersticken, hüllten sie sich dicht ein, denn sie fürchteten,
daß die Sandteilchen die Risse in .der Haut zu schmerzhaften Wunden erweitern
könnten. Aber ich für mein Teil liebte diesen Khamsin fast, da seine Martern
mit einer überlegten und wohlberechneten Tücke gegen den Menschen anzukämpfen
schienen und es etwas Aufmunterndes hatte, ihm direkt entgegenzutreten, seine
Kraft herauszufordern und seine Gewalt zu übertrumpfen. Ermunternd war es auch,
wenn die salzigen Schweißtropfen die Haarsträhnen herunter einer nach dem andern
über meine Stirn rannen und wie Eiswasser auf meine Wange fielen. Anfangs vergnügte
ich mich damit, sie mit dem Munde aufzufangen; aber als wir immer weiter in
die Wüste hineinritten und die Stunden vergingen, wurde der Wind immer stärker,
der Staub dichter, die Hitze fürchterlicher. Da hörte alles auf, was als sportlicher
Widerstreit gelten konnte. - T. E. Lawrence, Die sieben Säulen der Weisheit. München
1979 (dtv 1456, zuerst 1922 u. ö.)
Öde (2) Es sind uns, wie noch nie irgendwelchen Menschen,
Blicke nach allen Seiten vergönnt, überall ist kein Ende abzusehn. Wir haben
daher ein Gefühl der ungeheuren Weite — aber auch der ungeheuren Leere
voraus: und die Erfindsamkeit aller höheren Menschen besteht in diesem Jahrhundert
darin, über dies furchtbare Gefühl der Oede hinwegzukommen. Der Gegensatz dieses
Gefühls ist der Rausch: wo sich gleichsam die ganze
Welt in uns gedrängt hat und wir am Glück der Überfülle leiden. So ist denn
dies Zeitalter im Erfinden von Rausch-Mitteln am erfinderischesten. Wir kennen
alle den Rausch, als Musik, als blinde sich selber
blendende Schwärmerei und Anbetung vor einzelnen Menschen
und Ereignissen, wir kennen den Rausch des Tragischen das ist die Grausamkeit
im Anblick des Zugrundegehens, zumal wenn es das Edelste ist, was zu Grunde
geht: wir kennen die bescheideneren Arten des Rausches, die besinnungslose Arbeit,
das sich-Opfern als Werkzeug einer Wissenschaft oder politischen oder geldmachenden
Partei; irgend ein kleiner dummer Fanatismus, irgend ein unvermeidliches Sichherumdrehen
im kleinsten Kreise hat schon berauschende Kräfte. Es giebt auch eine gewisse
excentrisch werdende Bescheidenheit, welche das Gefühl der Leere selber wieder
wollüstig empfinden läßt: ja einen Genuß an der ewigen Leere aller Dinge, eine
Mystik des Glaubens an das Nichts und ein Sich-Opfern für diesen Glauben. Und
welche Augen haben wir uns als Erkennende gemacht für alle die kleinen Genüsse
der Erkenntniß! Wie verzeichnen wir und führen gleichsam Buch über unsre kleinen
Genüsse, wie als ob wir mit dem Summiren des vielen kleinen Genusses ein Gegengewicht
gegen jene Leere, eine Füllung jener Leere erlangen könnten —: wie täuschen
wir uns mit dieser summirenden Arglist! - Friedrich Nietzsche, nach: Tintenfass 4, Zürich 1981
Öde (3)
In dieser Langeweile, dieser Öde
Keiner, dem man die Hand
reichen könnte...
sagte der große Dichter Nekrassow, der nach der Tradition der russischen
Dichter aus Langeweile Selbstmord verübt hat oder von der Schwindsucht dahingerafft
wurde, und der Landstreicher Maxim der Bittere (Maxim Gorki) ergänzte: «...
und keiner, dem man die Fresse einhauen könnte!» -
Blaise Cendrars, Sternbild Eiffelturm. Zürich 1982 (zuerst 1949)
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