Observatorium    All diese Astronomen-Rituale spielten sich vor einem Hintergrund von Wildnis, Kälte und Industriemüll ab. Die Kuppeln der Observatorien waren ungeheizt und hatten Betonfußböden, die mit Stahlabfällen und öliger Schmiere überzogen waren. Es roch wie in einer Werkstatt. Das berühmte Hooker-Teleskop wurde über eine nahezu unübersehbare Reihe von Zahnrädern von einem Pendeluhrwerk angetrieben, ein Zahnrad war größer als die Armspanne eines ausgewachsenen Mannes. Jedes Observatorium wirkte wie ein Museum für technisches Gerät aus der Zeit um die Jahrhundertwende. So gab es beispielsweise riesige kupferne Hebelschalter mit Messerkontakten, wie man sie aus dem Film Frankenstein kennt.

Das Teleskop mit dem 1,5-Meter-Spiegel war das erste große Teleskop, an dem Sandage arbeitete, und es blieb ihm als ein besonders schwer zu handhabendes Gerät im Gedächtnis. So hatte es beispielsweise einen Newton-Spiegel: Unten sammelte ein großer Hohlspiegel das Sternenlicht und schickte es zu einem kleinen, etwas höher aufgehängten Fangspiegel, der den konvergierenden Lichtstrahl dann seitlich aus dem Teleskop hinaus ins Okular, in eine Kamera oder einen Spektrographen reflektierte. Der Fokus, an dem der Beobachter arbeitete, lag an der Seite des Geräts hoch über dem Boden.

Paradoxerweise fühlte sich Sandage wie andere vor ihm dort oben wohler, wenn er nachts Beobachtungen anstellte und in der Dunkelheit nicht sehen konnte, wie gefährlich sein Sitzplatz war, als wenn er tagsüber hinaufkletterte und an Instrumenten herumbastelte. Um scharfe Fotos zu bekommen, mußte das Teleskop die Sterne auf ihrer Bahn über den Himmel verfolgen. Leider konnte man sich auch beim besten Teleskop nicht darauf verlassen, daß es den Sternen wirklich exakt folgte, ganz zu schweigen von einem so alten Gerät wie diesem. Wenn das Teleskop sich zum Horizont neigte, bog es sich; winzige Ungenau-igkeiten in den Zahnrädern beschleunigten oder verlangsamten es, so daß es die Sterne, denen es nachgeführt wurde, entweder überholte oder hinter ihnen zurückblieb. Auch unterschiedliche Brechung konnte den scheinbaren Ort der Sterne am Himmel verschieben. Der Beobachter stand hoch oben auf der sich bewegenden Plattform, das Auge an das sich unabhängig bewegende Okular gepreßt, hielt ein Kontrollgerät in der Hand und drückte verschiedene Knöpfe, um das Teleskop zu beschleunigen oder abzubremsen.

Das Nachführen des Teleskops konnte im wahrsten Sinne des Wortes schmerzhaft sein. Wenn die nächtliche Kälte dem Beobachter Tränen in die Augen trieb, fror er gelegentlich am Okular fest. Sobald sich das Teleskop bewegte, mußte sich auch die Kuppel drehen, damit der offene Spalt vor dem Teleskop blieb, auch die Plattform des Beobachters bewegte sich. - Dennis Overbye, Das Echo des Urknalls. München 1993

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