blomov war ein mittelgroßer Mann von zweiunddreißig, dreiunddreißig Jahren, hatte ein angenehmes Äußeres und dunkelgraue Augen, doch fehlte seinen Gesichtszügen jeglicher bestimmte Ausdruck und jegliche innere Spannung. Die Gedanken huschten frei wie Vögel über das Gesicht, flatterten in den Augen, ließen sich auf den halbgeöffneten Lippen nieder, versteckten sich in den Falten der Stirn und verschwanden schließlich überhaupt; dann leuchtete das ganze Gesicht im gleichmäßigen Licht der Sorglosigkeit. Vom Gesicht wanderte die Sorglosigkeit in die Posen des ganzen Körpers und sogar in die Falten des Schlafrocks.

Manchmal verdüsterte sich sein Blick durch Müdigkeit oder Langeweile; doch vermochten weder Müdigkeit noch Langeweile auch nur einen Augenblick lang jene Weichheit aus dem Gesicht zu vertreiben, die der beherrschende und eigentliche Ausdruck nicht nur des Gesichts, sondern seiner ganzen Seele war; und diese Seele spiegelte sich offen und klar in den Augen, in seinem Lächeln, in jeder Bewegung des Kopfes und der Hände wider. Und ein flüchtig beobachtender, kühler Mensch, der im Vorübergehen einen Blick auf Oblomow geworfen hätte, würde wohl gesagt haben: Das muß ein guter, einfältiger Patron sein! Hätte jedoch ein Mensch sein Gesicht länger aufmerksam und mit größerem Wohlwollen betrachtet, wäre er vermutlich lächelnd, in angenehme Grübeleien versunken, weitergegangen.

Die Gesichtsfarbe Ilja Iljitschs war weder rosig noch bräunlich noch ausgesprochen blaß, sondern einfach neutral oder erschien wenigstens so; vielleicht deshalb, weil Oblomow schon ziemlich aufgedunsen war. Daran konnten unmöglich die Jahre schuld sein, sondern eher der Mangel an körperlicher Bewegung oder frischer Luft oder vielleicht das eine wie das andere. Überhaupt machte sein Körper, der matten, allzu weißen Farbe des Halses, den kleinen, rundlichen Händen und den schlaffen Schultern nach zu schließen, einen zu verweichlichten Eindruck für einen Mann.

Seine Bewegungen, selbst wenn er erregt war, blieben weich und entbehrten nicht einer gewissen graziösen Trägheit. Wenn sich eine Sorgenwolke, aus der Seele aufsteigend, auf sein Gesicht legte, wurde sein Blick trübe, auf der Stirn zeigten sich Falten, und sein Mienenspiel drückte Zweifel, Kummer und Angst aus; aber nur selten nahm diese Erregung bestimmte gedankliche Formen an, noch seltener verwandelte sie sich in einen Entschluß. Im allgemeinen löste sich die ganze Erregung in einen Seufzer auf und erstarb in Apathie oder in Schläfrigkeit.

Wie doch der Hausanzug Oblomows zu den ruhigen Zügen seines Gesichts und dem verweichlichten Körper paßte! Er trug einen Chalat aus persischer Seide, einen echten orientalischen Chalat, ohne das kleinste Zugeständnis an Europa, ohne Quasten, ohne Samt, ohne Taille und überaus geräumig und bequem, so daß selbst Oblomow sich zweimal hineinwickeln konnte. Die Ärmel wurden nach unwandelbarer asiatischer Mode von den Fingern bis zu den Schultern breiter und breiter. Obwohl dieser Chalat seine ursprüngliche Frische längst verloren und stellenweise seinen anfänglichen natürlichen Glanz mit einem anderen, ehrlich erworbenen vertauscht hatte, bewahrte er immer noch die orientalische Farbenpracht und das feste Gewebe.

Der Chalat besaß in Oblomows Augen eine Fülle unschätzbarer Vorzüge: er war weich und schmiegsam; der Körper spürte ihn fast nicht; er paßte sich, wie ein gehorsamer Sklave, den geringsten Bewegungen des Körpers an.

Oblomow ging daheim immer ohne Halsbinde und ohne Weste, weil er Zwanglosigkeit und Bequemlichkeit liebte. Seine Pantoffeln waren lang, weich und breit; wenn er, ohne hinzuschauen, die Füße vom Bett auf den Boden gleiten ließ, traf er unfehlbar in sie hinein.

Das Herumliegen war für Ilja Iljitsch weder eine Notwendigkeit, wie für einen Kranken oder für einen Menschen, der schlafen möchte, noch eine Zufälligkeit, wie für einen Müden, noch ein Genuß, wie für einen Faulpelz: es war sein normaler Zustand. Wenn er zu Hause war (und er war fast immer zu Hause), lag er stets im Bett und stets in dem gleichen Zimmer, wo wir ihn vorfanden, das ihm gleichzeitig als Schlafgemach, Kabinett und Salon diente. Er hatte noch drei andere Zimmer, doch warf er nur selten einen Blick hinein, höchstens am Morgen, und auch da nicht jeden Tag, nur wenn sein Bedienter das Kabinett fegte, was ebenfalls nicht jeden Tag geschah. In diesen Zimmern waren die Möbel mit Schutzhüllen versehen und die Vorhänge herabgelassen.

Das Zimmer, in dem Ilja Iljitsch lag, schien auf den ersten Blick prächtig eingerichtet zu sein. Außer dem Schreibpult aus Mahagoniholz standen noch zwei Diwane mit seidenen Bezügen darin und schöne Wandschirme mit eingestickten Vögeln und Früchten, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Ferner waren da noch seidene Vorhänge, Teppiche, einige Bilder, Bronzen, Porzellan und eine Menge hübscher Kleinigkeiten.

Doch das geübte Auge eines Menschen von gutem Geschmack hätte mit einem flüchtigen Blick auf alles, was da stand und lag, sofort die Absicht erkannt, daß nur das Dekorum des unvermeidlichen Anstandes gewahrt werden sollte, um es dabei bewenden zu lassen. Tatsächlich war es Oblomow bei der Einrichtung seines Kabinetts nur um dieses eine zu tun gewesen. Ein feinerer Geschmack hätte sich mit diesen schweren, plumpen Stühlen aus Mahagoniholz und den wackeligen Etageren nicht zufriedengegeben. Die Rückenlehne eines Diwans hatte sich gesenkt, das Furnierholz war an mehreren Stellen abgesprungen.

Genau den gleichen Charakter offenbarten die Bilder und die Vasen und die Kleinigkeiten.

Der Hausherr selber betrachtete die Einrichtung seines Kabinetts so kalt und zerstreut, als ob er mit den Augen fragen wollte: Wer hat das alles hergeschleppt und aufgestellt? Infolge dieser kalten Würdigung seines Eigentums und der wahrscheinlich noch kälteren Würdigung des nämlichen Gegenstandes durch seinen Diener Sachar machte das Kabinett, wenn man es genauer betrachtete, durch die in ihm herrschende Verwahrlosung und Unordnung einen geradezu bestürzenden Eindruck.

An den Wänden, rings um die Bilder, klebten wie Festons staubbedeckte Spinnweben; die Spiegel hätten, statt die Dinge wiederzugeben, eher als Schreibtafel dienen können, auf deren Staubschicht man beliebig Notizen machen konnte. Die Teppiche hatten Flecken. Auf dem Diwan lag ein vergessenes Handtuch. Und nur höchst selten stand des Morgens auf dem Tisch kein gebrauchter Teller samt abgenagten Knöchelchen und dem Salzfaß vom Abendessen des Vortages; fast immer war er voller Brotkrumen.

Wären nicht dieser Teller oder die an das Bett gelehnte, eben ausgerauchte Pfeife oder der im Bett liegende Hausherr selber gewesen, hätte man glauben können, daß hier niemand wohnte: so verstaubt, verblichen und schlechthin bar jeglicher frischen Spuren menschlicher Anwesenheit war alles. Auf den Etageren lagen freilich zwei, drei aufgeschlagene Bücher und sogar eine Zeitung, auf dem Schreibpult standen auch Tinte und Feder; aber die Seiten, auf denen die Bücher aufgeschlagen waren, hatten sich mit einer Staubschicht überzogen und waren vergilbt; offenbar hatte man sie vor langer Zeit so hingelegt; die Zeitung stammte vom vorigen Jahr, und aus dem Tintenfaß wäre, hätte man die Feder eingetunkt, höchstens mit großem Gesumm eine erschreckte Fliege hervorgestürzt... .  - Ivan Gontscharov, Oblomov. Frankfurt am Main 1961 (EC 25, zuerst 1859)

Melancholiker Menschen, wirkliche Russen
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