berfläche  Alles in allem eine trostlose, fast tragische Atmosphäre um einen Mann wie Vollmoeller, der wirkliches Talent hat. Ich las heute im Manuskript sein ›Achtes Wunder der Jungfrau Maria‹. Steinharte, feste Sprache, wie sie sonst niemand in Deutschland kann, fast dorisch in ihrer Strenge, aber der Stoff dünn, flach, man weiß nicht recht, warum er ihn gewählt hat. Und eine üble Lüsternheit; etwas Disparates, Zerfahrenes unter der klassischen Oberfläche.  - Harry Graf Kessler, Tagebücher 1918 bis 1937. Hg. Wolfgang Pfeiffer-Belli. Frankfurt am Main 1982 (it 659)

Oberfläche (2)  Der Umgang mit dem Körper gehört seit den künstlerischen Hausschlachtungen der Wiener Aktionisten zur Spezialität des Landes. Doch der große Erfolg Erwin Wurms lenkt nun glücklicherweise vom Kommerz mit solch makabren Gustostückerln ab. Der Tausendsassa exorzisiert den rituellen, blasphemischen Zauber und verekelt uns die Sekretionen, mit denen die Schwarzkogler, Nitsch, Brus und Mühl ihren Hofstaat zu salben pflegen. Wurm, der Spötter und Aufklärer, treibt es ausschließlich mit dem trockenen, geschlossenen Leib. Manche irritiert dieser Angriff auf die Wiener Hausgötter. Man meint denn auch hier und dort in befeindeten Ateliers, Wurm biete halt, verglichen mit den Aktionskünstlern, nur Oberfläche. Gewiss ist Wurm Oberfläche. Er möchte Oberfläche sein, doch eine so akkurat gebohnerte, dass man auf ihr ausrutschen muss. Für die verdrießliche Reaktion mancher Kollegen gilt wohl, was der Kabarettist Heinzl grundsätzlich über die Mentalität vor Ort vermerkte: 'In Wien sind sie einem sogar den Krebs neidig.'  - Werner Spies, FAZ vom 24. Februar 2007

Oberfläche (3) Woher der Ausdruck ›die glasige Oberfläche eines Sees‹ kommt, das sah ich an stillen Septembernachmittagen, wenn der Dunst das gegenüberliegende Ufer leicht verschleierte, von dem glatten, sandigen Gestade vom Ostende des Teiches aus. Dreht nian den Kopf zur Seite, so sieht der See aus wie der feinste Sommerfaden, der über das Tal hinübergespannt ist; indem er sich glänzend von dem fernen Tannenwald abhebt, scheidet er eine Luftschicht von der ändern. Man hat das Gefühl, daß man trockenen Fußes darunter hindurch zu den gegenüberliegenden Hügeln gehen, daß die Schwalbe, welche darüber schwebt, sich darauf niederlassen kann. Manchmal taucht sie auch wirklich wie aus Versehen unter die Oberfläche und erkennt ihren Irrtum. Blickt man über den Teich nach Westen zu, so muß man beide Hände zum Schutz der Augen sowohl gegen die wirkliche Sonne als auch deren Spiegelbild zu Hilfe nehmen, denn beide blenden gleich stark. Betrachtet man nun zwischen den beiden Sonnen aufmerksam die Oberfläche, so zeigt sich, daß sie wirklich so glatt wie Glas ist, ausgenommen dort, wo die in gleichmäßigen Zwischenräumen über die ganze Seeausdehnung zerstreuten Wasserläuferinsekten durch ihre Bewegungen in der Sonne die denkbar feinsten Glitzerfunken hervorbringen, wo allenfalls eine Ente ihr Gefieder glatt streicht oder eine Schwalbe tief genug herunterstreift, um das Wasser zu berühren. Hie und da beschreibt drüben ein Fisch einen Bogen von drei bis vier Fuß durch die Luft, und ein blendender Blitz zuckt auf, wo er herauskam, und dort, wo er wieder das Wasser traf; manchmal ist der ganze silberne Bogen zu sehen; oder hier und dort schwimmt ein Stück Distelwolle, nach dem die Fische schnappen, um so die Oberfläche wieder aufglitzern zu lassen. Der See sieht aus wie geschmolzenes, kühles, aber nicht erstarrtes Glas, und die Stäubchen darin sind rein und schön wie die Bläschen im Glas. Oft bemerkt man ein noch glatteres, dunkleres Wasser, das von dem übrigen wie durch einen unsichtbaren Spinnwebfaden abgeteilt ist, dem Hafenbaum der Wassernymphen, welche dort der Ruhe pflegen. Von der Spitze eines Hügels aus sieht man fast überall die Fische springen; denn kein Grashecht oder Weißfisch kann nach einem Insekt auf dieser glatten Oberfläche schnappen, ohne das Gleichgewicht des ganzen Sees zu stören. Es ist wunderbar, mit welcher Genauigkeit diese einfache Tatsache nach allen Seiten registriert wird - dieser Mord läßt sich nicht verheimlichen; von meinem fernen Beobachtungsplatz aus kann ich die schwingenden Wellenkreise unterscheiden, wenn ihr Durchmesser auch neunzig Fuß beträgt. Man sieht sogar aus der Entfernung von einer Viertelmeile eine Wasserwanze, die unaufhörlich über die glatte Oberfläche hinläuft, denn diese Tiere furchen leicht das Wasser, und die von zwei divergierenden Linien begrenzte Furche Ist deutlich sichtbar; die Wasserläufer aber gleiten darüber hin, ohne das Wasser merklich zu bewegen. Ist die Oberfläche ziemlich unruhig, so halten sich weder Wasserwanzen noch Wasserläufer darauf auf. Bei ruhigem Wetter aber verlassen sie voll Abenteuerlust Ihre Schlupfwinkel, gleiten vom Ufer aus immer ruckweise über das Wasser hin und erscheinen in solcher Menge, daß die ganze Oberfläche von Ihnen bedeckt ist.

Es ist eine ruhevolle Beschäftigung an einem dieser schonen Herbsttage, da man die ganze Sonnenwärme zu schätzen weiß, hoch oben auf einem Baumstumpf zu sitzen, wie jetzt ich es tue, und die schwebenden Kreise zu beobachten, welche beständig auf der sonst unsichtbaren Oberfläche zwischen dem spiegelnden Himmel und den Bäumen gezogen werden. Keine Störung zeigt sich auf dieser großen Flache, die nicht sogleich geglättet und gelindert würde: ein Gefäß mit Wasser wurde geschüttelt, die zitternden Kreise suchen das Ufer auf, und alles ist wieder glatt. Kein Fisch kann springen, kein Insekt in den See fallen, ohne daß es in kreisenden Wellchen verkündigt wird, in Linien voll Schönheit, dem beständigen Aufquellen seines Bronnens, dem leichten Pulsschlag seines Lebens, dem Heben und Senken seiner Brust. Die Schauer der Wonne und die des Schmerzes sind nicht voneinander zu unterscheiden. Wie friedvoll sind die Erscheinungen des Sees! Wieder leuchten die Werke der Menschen wie im Frühling - ja, jedes Blatt und jedes Zweiglein, jeder Stein, jedes Spinnweb funkelt jetzt mitten im Nachmittage, als läge über allem der Tau eines Frühlingsmorgens. Jede Bewegung eines Ruders oder eines Insektes erzeugt einen Lichtblitz. - Henry David Thoreau, Walden oder Leben in den Wäldern. Zürich 1979 (zuerst 1854)

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