ase Studer war in einer einsamen Oase, aber er wußte: sie war nicht
leer. Ein Geschöpf hauste in ihr, weder Mensch noch Tier, das denen, die sich
hierher verirrten, ins Genick sprang und sie zu Tode ritt. Der Wachtmeister
ging gebückt und ängstlich unter den giftig-grünen Federpalmen. Da saß ihm das
Geschöpf schon im Nacken, es hatte dürre Schenkel, die preßten Studers Hals
zusammen. Und Studer ächzte. Pater Matthias tauchte auf, er hielt ein Kreuz
in der Hand und rief: »Apage, Satanas!« Aber das Geschöpf kümmerte sich keinen
Deut um die Beschwörung, es ritt weiter auf Studers Nacken, und der Wachtmeister
mußte traben. Er hatte Durst. Pater Matthias war verschwunden, dafür standen
plötzlich die verstorbenen alten Frauen da, und die eine hatte eine Warze neben
dem linken Nasenflügel, während die Lippen der anderen schmal und zu einem höhnischen
Lächeln verzogen waren. Sie tanzten wie Hexen einen grausigen Tanz... Studer
fiel zu Boden, es war nicht Erde, auf die er fiel, nein, Fliesen waren es. Und
als er aufsah, lag er in der Küche der verstorbenen Sophie. Alles war da: der
braune Klubsessel, der Gasherd, der Küchentisch, mit Wachstuch überzogen. Doch
im Klubsessel, neben dem Gasherd, saß Marie und schlief. Über die Schlafende
beugte sich ein Mann mit gekräuseltem Bart und sagte mit hohler Stimme: »Ich
hole sie alle, alle hol' ich sie zu mir.« Der Mann, der nur der Geologe Cleman
sein konnte, beschrieb mit seinen dürren Händen Kreise um den Kopf des Mädchens,
die blonden Haare sträubten sich. Dann war es nicht mehr Marie - eine Warze
wuchs neben ihrem Nasenflügel - die Küche schrumpfte zusammen und war nur noch
ein Durchgangskorridor. Die beiden Flammen des Gasrechauds pfiffen eine Walzermelodie,
und auf der Etagere tanzten die Büchsen klappernd einen plumpen Tanz: »Mehl«,
»Salz«, »Kaffee«. Und Studer dachte im Traum, daß sie vom Tanzen ihr Email verloren
hatten ... »Cleman Victor Alois«, sagte Studer laut -und immer noch lag er am
Boden - »ich verhafte Sie wegen Mordverdachts!« Aber die Küche war leer, wenigstens
schien es so. Ein Schatten hüpfte über die Wand. Diesen Schatten verfolgte Studer
mit dem Schatten seiner Hand. Da begann der Schatten zu lachen, lauter und lauter,
donnernd. - Friedrich Glauser, Die
Fieberkurve. Zürich 1989 (zuerst 1937)
Oase (2)
Fatimas erotische Reize beruhen nur auf einer einzigen Eigenschaft:
ihrer Körperfülle. Was wäre in einer knochendürren Gesellschaft ein angemesseneres
Ideal menschlicher Vollkommenheit? Fatima wiegt hundertdreiundsiebzig Kilo.
Um von einer Ecke des Zelts in die andere zu gelangen, braucht sie den
Beistand von zwei Sklaven. Auf dem Neunzig-Kilometer-Ritt nach Dihna im
Norden brachte sie einmal zwei Kamele und einen Zugochsen zur totalen Erschöpfung,
und schließlich mußte sie auf einer Sänfte von sechs Rindern gezogen werden.
Ali kommt von der Wüste heim, Blut und Sand in den Augenwinkeln, und taucht
mitten hinein in die feuchte Fruchtbarkeit ihres Fleisches. Sie ist ein
Rrunnen, eine Quelle, eine Oase. Sie ist überfließende Milch, ein bewegliches
Festmahl, eine saftiggrüne Weide, eine Rinderhälfte. Sie ist Gold. Sie
ist Regen. - T. Coraghessan
Boyle, Wassermusik. Reinbek bei Hamburg 1990
|
||
|
||