Theo Löbsack, Das unheimliche Heer. Insekten erobern die
Erde. München 1991 (dtv 11389)
Nymphe (2) Es war, als hätte ich eine nymphenhafte Inkarnation
ihrer ergreifenden Schönheit erblickt, an die man besser nicht rührte. An einem
Junitag des Jahres, da wir beide dreizehn waren, jagte ich am Ufer der Oredesh
einige Apollofalter - Parnassius mnemosyne, um genau zu sein —, seltsame
Schmetterlinge aus uraltem Geschlecht mit raschelnden, glasigen, halbdurchsichtigen
Flügeln und kätzchenartigem, seidenweichem Hinterleib. Meine Suche hatte mich
in ein dichtes Unterholz aus milchig-weißen Racemosen und dunklen Erlen hart
am Ufer des kalten, blauen Flusses geführt, als ich es plötzlich spritzen und
rufen hörte, und hinter einem duftenden Busch versteckt sah ich, wie Polenka
und drei oder vier andere Kinder ein paar Schritte von mir entfernt von den
Ruinen eines alten Badehauses aus splitternackt badeten. Naß und keuchend, mit
einer Stupsnase, die ihr auf der einen Seite lief, die Rippen ihres jugendlichen
Körpers unter der blassen Gänsehaut gewölbt, die Waden mit schwarzem Schlamm
bespritzt, einen gebogenen Kamm im Haar, das die Feuchtigkeit dunkler machte,
so floh sie vor dem Sausen und Klatschen der Wasserlilienstengel, die ein trommelbäuchiges
Mädchen mit kahlgeschorenem Kopf und ein schamlos aufgeregtes grünes Bürschchen
mit einer Art Schnur um die Lenden, einem örtlichen Brauch zufolge ein Mittel
gegen den bösen Blick, aus dem Wasser gerissen hatten, um ihr damit zuzusetzen;
und ein oder zwei Sekunden lang — bevor ich in einem elenden Nebel von Abscheu
und Begierde wegkroch - sah ich eine fremde Polenka auf den Planken einer halbverfallenen
Landungsbrücke kauern und zittern, die Arme gegen den Ostwind über die Brüste
gekreuzt, während sie ihren beiden eifrigen Verfolgern die Zungenspitze
herausstreckte. - (
nab
)
Nymphe (3) »Die Soldaten... die Soldaten rücken gegen Paris vor! Der Fürst Lambesq...«
In diesem Augenblick kam aus der Rue de l'Arbre-Sec ein hochgewachsenes Mädchen,
nach Art der Nymphen gekleidet - und ebenso gebaut -, und fragte: »Wohin eilen
diese Männer?« Es wurde ihr geantwortet: »Sie fliehen
mit ihren Frauen.« — »Diese Feiglinge!« rief sie
und packte einen Ausreißer am Kragen: »Laß deine Frau alleine laufen und geh
du zurück!« Der junge Mann lächelte. »Das ist meine Schwester«, erwiderte er.
»Laßt mich sie nach Hause bringen, dann komme ich bewaffnet zurück.« Ein anderer
junger Mann, der mir der Liebhaber der Nymphe zu sein schien, tauchte auf und
nahm sie bei der Hand, um sie, gleichsam die Rollen vertauschend, mit sich fortzuziehen.
Die Schöne drehte sich jedoch um und stampfte, wie sie die Männer immer noch
fliehen sah, voller Empörung mit ihrem reizenden Fuß auf. - Restif de
la Bretonne, Revolutionäre Nächte in Paris. Bremen 1989 (zuerst 1790/1794)
Nymphe (4)
In der vergeblichen Hoffnung, den Undankbaren zu vergessen,
für den ihr Herz schlug,
hat diese Nymphe ihre Grotte sehr schön auskleiden
lassen.
Mit tief geränderten Augen, in der romantischen Pose der Melancholie schaut
Calypso - parallel zum Horizont des Meeres - in die leere Ferne und bemerkt
wahrscheinlich nicht einmal, daß ihr Daumier zur Irritation den kleinen Finger
der aufgelümmelten linken Hand wohl deshalb in die Nase gesteckt hat, um sie
darin puhlend Trost finden zu lassen. -
(dau)
Nymphe (5) Ungestraft liebten
die »nichtsnutzigen, Unmögliches anstiftenden Satyrn« die
Nymphen, die den gewöhnlichen Sterblichen sehr gefährlich werden konnten. So
verschwand der schöne Knabe Hylas beim Wasserschöpfen: die Quellennymphe
und der Mondschein, ja eine Dreiheit von Quellennymphen, »schreckliche Göttinnen
für die Menschen, die da draußen leben«, waren schuld daran. Nympholeptos,
»ein von den Nymphen Ergriffener«, hieß in unserer Sprache, was die Lateiner
einen lymphaticus nannten, ein Wort, in dem lympha die Wiedergabe
von »Nymphe« ist, doch in der Bedeutung von »Wasser« - oder auch lunaticus,
das heißt »mondsüchtig«: ein Wort, das später für periodisch oder leicht Geistesgestörte
verwendet wurde, die man als Opfer der Nymphen ansah. In besonderer Beziehung
zur ganzen Menschheit standen die Meliai, die »Eschennymphen«: diese
aber hatten eine besondere Abstammung, von Uranos und Gaia, sie entsprangen
aus dem Blut des verstümmelten Vaters. - (
kere
)
Nymphe (6)
-
Carracci
Nymphe (7) Das Wort nymphe
bedeutet ein weibliches Wesen, durch das ein Mann zum nymphios, das heißt
zum glücklichen, am Ziel seiner Männlichkeit angelangten
Bräutigam wird. Die Bezeichnung gebührte einer großen Göttin
ebenso wie einem sterblichen Mädchen. -
(kere)
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