Nonne,
entlaufene (2) Abends sitze ich allein in einem
großen leeren Kino, dem «Kolosseum». Es faßt tausend Menschen; nicht hundert
sind da. Eisiger Fußboden. Ein kleines Orchester fängt an. Wer kann widerstehen,
wenn die Geigen anfangen zu singen und zu dir kommen, unmittelbar und ganz persönlich
zu dir sprechen. Ach, das Weinen und süße Andringen der Geigen in Worte zu kleiden,
das beruhigende Stöhnen des Cellos. Sie sind mit Wärme gefüllt, klingende Wärme.
Wie anders wird ein Kinobild durch Musik. Es ist schönes Kino oben: Barbara
ist sehr schön. Ich sehe einen Teil des Films zweimal, obwohl die Kälte schrecklich
ist. Ein russisches Kloster; Nonnen
machen tiefe Verbeugungen; ihre hohen Kopfbedeckungen ähneln den mittelalterlichen
Schauben. Sie bekreuzigen sich besonders innig. Dann kommt der Maler,
der im Kloster die Decke verzieren soll, und sieht die Nonne Irene. Das ist
die Schauspielerin Barbara; ich weiß ihren Nachnamen nicht. Die schöne feine
schlanke Barbara. Ich verstehe ohne Text jedes Bild.
Wie sie halb gezwungen ihm Modell steht, dann in Verwirrung gerät. So wunderfein
und zart gibt das Barbara. Die Priorin, die mit dem Stab einherschreitet, hat
etwas erfahren; der Maler soll weg. Und zugleich verläßt Irene Stück um Stück
ihre fromme Kraft. Hilflos, ohnmächtig, in Liebe aufleuchtend, läßt sie sich
in sein Auto tragen. Dann ist sie in der Großstadt die schönste Gesellschaftsdame.
Ihre Widerstandskraft aber ist hin. Im Champagnerrausch umarmt sie einen neuen
Freund, eine neue Liebe keimt in ihr. Der Ehemann erhält den anonymen Brief.
Tausendmal sind diese Dinge dargestellt, und tausendmal saugt man sich wieder
an ihnen fest. Die Eifersucht hat sich eingefressen in den armen Maler, diese
Höllenqual, die einsam macht, zur mordlustigen Bestie macht. Da zerknüllt er
den anonymen Brief, spielt und kann sich doch nichts verbergen, wartet, bis
sein Unglück sicher ist. Nein, nicht sein Unglück; das hat ihn schon getroffen.
Er wartet auf die Heilmittel, auf die Opfer, an denen er zerschellen will. Bei
den beiden, Irene und ihrem Freund, ist der Taumel des Abschieds da, die Umarmung,
der Kuß - und der unglückliche Maler. Der fremde junge Geliebte fällt; das Duell
entscheidet gegen ihn. Der Maler träumt: nun ist alles wieder gut. Er naht ihr
wieder, bettelnd. Ihr Ekel, Entsetzen. Sie sieht hell die Bestie, die sich gesättigt
hat! Sie seine Beute, die er gewonnen hat, an der er sich jetzt weiden will.
Nichts als Haß bei ihr. Und Weinen über den Toten. Und wieder das Kloster. - Alfred Döblin, Reise
in Polen. München 1987 (zuerst 1925)
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