Nichtstun   Den Kaffee, der nach dem Essen getrunken wurde, nahm er heute mit ins Büro. Er mußfte sich und der Familie demonstrieren, daß er keine Zeit hatte.

Er muß öfter prüfen, ob er in Gefahr sei, faul zu werden. Wenn er andere beobachtete, sah er, daß sie entweder arbeiteten oder nichts taten, ruhten, sich erholten. Diesen Unterschied kannte er nicht. Er war immer in Gefahr, nicht nur nichts, sondern nie mehr etwas zu tun; deshalb mußte er sich ununterbrochen zwingen, etwas zu tun. Er hütete sich, jene innerste, tiefste, gründlichste Stimmung durchdringen zu lassen, die auf das Geständnis hinauslaufen mußte, er arbeite nie etwas und wolle nie etwas arbeiten und tue immer nur so als arbeite er. Daß er fast ununterbrochen arbeitete, hatte er nur der Angst vor seiner fürchterlichen Neigung zum Nichtstun zu verdanken.   - Martin Walser, Das Schwanenhaus. Frankfurt am Main 1982

Nichtstun (2)  Jetzt allgemeine Überlegung: Was tut eigentlich der Mensch, wenn er nichts tut? Weil absolutes Nichtstun ist ja streng betrachtet unmöglich. Irgend etwas tut der Mensch immer, auch wenn er nichts tut. Das ist genauso kompliziert wie mit dem Beweisen der Nichtschuld, wo die Witwe dem Brenner erklärt hat, daß das streng betrachtet nicht geht.

Ja siehst du, darüber hat der Brenner nachgedacht. Er ist am Salzachufer gestanden und hat auf das Wasser hin-untergestarrt, das in seiner berühmten grünen Schädelwehfarbe in diesem berühmten trägen Schädelwehtempo Richtung Abgrund spaziert ist, und hat geglaubt, daß er nichts tut. Aber in Wirklichkeit hat er darüber nachgedacht, was ihm die Witwe da über die Nichtschuld erklärt hat. Daß man die nicht beweisen kann. Warum eigentlich nicht, hat der Brenner sich gefragt. Natürlich postwendend verschärftes Strafkopfweh für diese unnötige Frage. Das war die einzige Antwort, die seinem Kopf dazu eingefallen ist.

Für die Spaziergänger am Salzachufer hat es vielleicht ein bißchen so ausgesehen, als würde der Mann sich überlegen, ob er hineinhüpfen soll, praktisch einzige Möglichkeit, wenn du heute wirkliches Nichtstun anstrebst. Aber vorher das Springen ist erst recht wieder Tun, das ist wie mit den Banken, egal wie du rechnest, als kleiner Sparer verlierst du immer.

War übrigens gar nicht weit von der Brücke, wo er als Polizist einmal einen Küchensessel wegräumen hat müssen. Eine alte Frau hat sich den Sessel mitgenommen, damit sie leichter über das Geländer gekommen ist, jetzt große Frage für die Polizei, was tun wir mit dem Küchensessel, das geht immer weiter mit dem Tun.   - Wolf Haas, Silentium! Reinbek bei Hamburg 2012

 

Tun Verweigerer

 

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Verwandte Begriffe
Muße Faulheit
Synonyme
Untätigkeit