Nasenmetamorphose  In der Tat, da hockte die Bestie seelenruhig ganz oben am Netz! Amadeus, der etwas weitsichtig war, erkannte deutlich das auf vier absurd-dünnen Beinen sitzende und das dritte Beinpaar unverschämt zurückringelnde Filigrangebilde . . . Amadeus erhob sich auf der Lagerstatt. Aber wie sollte er das Insekt gegen einen locker zurückweichenden Stoff drücken!? ... Gleichviel! Er schlug so rasch und heftig zu, daß er glaubte, das Netz gehe kaputt. Die Mücke war doch sicherlich getroffen!... Er spähte nach der Toten, sah nichts und fühlte am Knie einen neuen Stich. Um wenigstens das Gros seines Körpers der Gefahr zu entziehen, kroch er unter die Decken zurück. Blieb stumpf eine Weile liegen. Dann, halb und halb beruhigt, vom Feinde nichts sehend und hörend, entschloß er sich, das Licht auszuknipsen. Im selben Moment fing das Summen wieder an.

Nun streckte er eine Hand heraus, hielt sie sorglich nah am Gesicht, und sooft er auf Stirn oder Wange etwas zu spüren glaubte, klapste er tüchtig los. Gleich darauf vernahm er des Tieres höhnisch lispelnde Musik.

Dann kam er auf die Idee, sich den seidenen Schal um den Kopf zu winden, was ein freies Atmen, nicht ein Gestochenwerden am Kinn verhinderte.

Worauf die Mücke, vorläufig gesättigt, sich Ruhe gönnte. Wenigstens drang ihr Summen nicht mehr in Amadeus' (der den Schal wieder abgenommen hatte und sich schlafend kratzte) fieberhaften Traum. Am Morgen war das, was man sonst seine Adlernase nennen konnte, zur Säufernase geworden; die Beule am Knie war zu Überrüffelgröße angeschwollen; die am Kinn hob sich vulkanisch — und er empfahl sie der Vorsicht des Genueser Figaro, bei dem er sich schnell noch rasieren ließ, damit die Ewige Stadt einen wohlanständigen Christenmenschen eintreffen sehe.  - André Gide, Die Verliese des Vatikan. München 1975 (dtv 1106, zuerst 1914)

Nasenmetamorphose (2)
 

Nase

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme