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(sap)
Nasenbluten (2) Er bemerkte, daß ihm etwas über die Lippen und in den Mund hineinrann. Abschaffel erschrak mit seinem schwitzenden, feuchten, kranken Körper. Er griff sich mit dem Taschentuch erneut an die Nase und hob es vor die Augen. Es war blutig. Sofort war viel Blut da, es rann offenbar schnell und reichlich, Durch die Anstrengung mußte etwas geplatzt sein, und aus Aufregung konnte er sich nicht vorstellen, daß es vielleicht nur ein Äderchen war. Das Blut war feuchter als das Wasser, es setzte sich tiefer in alles hinein und machte dort, wo es einmal war, einen unabänderlichen Eindruck.
Abschaffel zerrte aus dem Beutel, in dem seine schmutzige Wäsche verstaut
war, ein Hemd heraus und hielt es sich ins Gesicht. Wieder setzte er sich auf
den Stuhl und beugte den Kopf tief nach hinten. Er schmeckte sein eigenes Blut
im Mund, und dabei gab er sich unumwunden zu, daß er Hilfe brauchte. Er sah
nichts mehr, so sehr waren seine Augenhöhlen mit Tränenwasser voll, er machte
wahrscheinlich alles falsch und sehnte sich nach irgend etwas. Aber es gehörte
zu seiner Art des Zufriedenseins im Unglück, plötzlich wieder etwas Angenehmes
zu spüren oder jedenfalls eine bestimmte Regung, die für ihn lediglich unbekannt
war, in etwas Angenehmes umzudeuten. Ein solcher Vorgang war eingetreten, als
er bemerkte, wie er in kleinen, regelmäßigen Schlucken sein eigenes Blut verschlang.
Damit war für ihn im Augenblick plötzlich wieder etwas in Ordnung. Er saugte
mit dem Kehlkopf das Blut nach hinten ab und glaubte, so könne es für eine Weile
bleiben. Es dauerte nicht lange, und er hatte diesen Vorgang erneut umgedeutet.
Diesmal allerdings weniger freiwillig; er wurde beunruhigt, weil er nicht wußte,
was mit dem von ihm geschluckten Blut geschah; ging dieses Blut seinem Körper
verloren? Wenn ja, dann konnte er nicht so weitermachen. Und außerdem erinnerte
er sich, schon öfter gehört zu haben, daß man an seinem eigenen Blut ersticken
konnte. Und das Blut, das er schluckte, wurde nicht weniger,
und Abschaffel wollte nicht ersticken. Er beschloß, das Blut nicht weiter zu
schlucken; kurz bevor die Angst zu groß wurde, hörte
er damit auf. Mit der frei gebliebenen Hand riß er von einem Papiertaschentuch
zwei Ecken ab und rollte sie zu zwei Kugeln zusammen. Er nahm sich das klamme,
vom Blut schwer gewordene Hemd vom Gesicht herunter und stopfte sich die beiden
Papierkugeln in die Nasenlöcher. Er ging vor den Spiegel
und sah zu, was geschah. Die Papierkugeln waren rasch durchtränkt, er riß sie
heraus und stopfte die Nase voll mit neuem, frischem Papier, so fest er nur
konnte. Und wirklich hielten die Papierkugeln das Blut an. Schon bei der ersten
Erneuerung der Papierkugeln war der Druck des Blutes schwächer geworden. Abschaffel
präparierte sich eine Reihe von Papierkugeln zurecht, die er sich in immer größer
werdenden Abständen in die Nase stopfte. - (
absch
)
Nasenbluten (3) Georg Gallus, alter gottloser Leinenweber, bekommt oft indirekt Ermahnung vom Priester, sich zu bessern. 23. Februar 1755 begehrt er in Soldan in Preußen durch den Küster am Sonntag, bevor man das zweite Mal läutete, daß der Priester Tschepius komme und ihm das Sakrament gebe.
Der Priester kleidet sich an, wird aber durch Nasenbluten verhindert. Gallus furchtet das Widerspiel, fällt vor dem Altar auf die Knie, sticht sich in den Hals. Das Volk läuft hinzu; er wird verbunden, bekennt, er habe vorgehabt, den Priester, dann sich zu töten, weil er ihn so oft gewarnt hat.
Widerspiel: Gegenstück, Abspiegelung eines Geschehens
-
(
nem
)
Nasenbluten (4) Haben Menschen gewaltigen
Zorn und einen hartnäckigen Sinn in sich, äußern sie dies jedoch nicht
aus Mangel an Mut, aus Furcht, aus Traurigkeit oder weil sie sonst nicht
können, so werden zuweilen die Adern des Gehirnes, des Halses oder der
Brust zerrissen und platzen und ergießen sich durch den Zugang und den
Weg, durch den die Düfte zur Nase getragen werden. Es gibt auch Menschen,
die sich mit eitlen und verschiedenartigen Gedanken beschäftigen, sie aber
nicht in die Tat umsetzen können, oder solche, die unsteten und zerstreuten
Sinnes im Geiste von Ort zu Ort schweifen, oder durch einen ungewöhnlichen
Charakter oder in einer Ausgelassenheit außer Rand und Band in ihrem Sinne
da und dorthin geworfen und so gleichsam in Wahnsinn umhergetrieben werden,
so daß sie weder ihre Augen noch ihr Antlitz in richtigem Stande und ordentlicher
Gebärde bewahren können. Von diesen ausschweifenden
Gedanken platzen ihnen
die Adern des Gehirnes oder des Halses und der Brust,
so daß ihr Blut aus der Nase fließt. -
(bin)
Nasenbluten (5) Hier war Matern schon mal, als er noch mit der Jungfrau Gespräche führte. Heut quasselt Ingefrau. «Und was nun?» heißt ihre immerbereite Frage. «Kalt», sagt sie und: «Setz Dich doch endlich», und: «Wolln wir uns 'nen Teppich holen?» und: «Wennes nicht 'ne Kirche wäre, würd ich ja sagen, hättste auch Lust?» Darauf im schummrigen Dreivierteldustern: «Guck mal da! Da issen Beichtstuhl. Ob der zu ist?»
Der ist nicht verschlossen sondern allzeit bereit. In einem Beichtstuhl macht er sie fertig. Das ist mal was Neues. In dem hat bestimmt noch niemand. Also muß der Hund da rein, wo sonst der Priester sein Ohr hat. Denn Pluto spielt mit. Matern bezieht mit ihr die Gegenkabine, stößt sie im Knien, unbequem von hinten, während sie quasseln muß vorne weg durch das Gitterchen, hinter dem Pluto den Beichtvater mimt. Und er drückt ihr vervögeltes Puppengesicht gegen das sündhaft verschnörkelte Holzgitter: barocke, meisterliche rheinische Holzschnitzerkunst überdauert Jahrhunderte, bricht nicht, sondern quetscht dem Puppengesichtchen die Nase. Jede Sünde zählt. Bußwerke werden auferlegt. Fürbitte wird eingelegt. Nicht etwa: Heiliger Quirinus, Hilfe! Vielmehr: «Sawatzki, komm, helf mir doch! Ogottogott!»
Nun, ja, nachher ist der Beichtstuhl nicht kaputt. Aber sie liegt
lang auf kühlen Fliesen und läßt die Nase bluten im Dustern. - (hundej)
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