Nase, neue   Ich bin wol unter allen Menschen vielleicht am wenigsten ruhmredig, und es wäre oft zu wünschen, ich wäre minder bescheiden: aber ich könnte die Wahrheit nicht auf meiner Seite haben, wenn ich es unterdrücken wollte, wie wenig meine damalige Nase meinen Fähigkeiten angemessen war: wahrhaftig sie blieb ganz unter meinem Gehirn, und man konnte wol nicht von ihr sagen, sie wäre ein dünner Sekundenzeiger meiner Ideen und eine lange Sitzstange meiner Gaben; weit getriebene Ausdrücke, deren ich mich doch von tausend andern Nasen ohne Gefahr bedienen wollte. Indessen bestanden meine Freunde ganz steif auf dem Gegentheile und wünschten, man bedächte, daß einer nicht buchstabieren müßte können, der auf meiner Nase nicht auffallenden Verstand und Tiefsinn läse. Ich bestand zuletzt selber darauf.

Denn ich konnte gar nicht anders. Mein Grundsatz ist: da der pfiffigste Mann unmöglich alle die Vorzüge selber inne werden kann, die ihm wirklich beiwohnen - weil er entweder, wie z. B. Fürsten, Poeten und Weiber, nicht immer auf sich merkt, oder weil überhaupt die Vollkommenheiten gleich den Unvollkommenheiten durch ihre stäte Gegenwart dem Auge des Besitzers unsichtbar werden -: so sollt' er es mit Danke annehmen und es glauben, wenn ein guter Freund, der sie leichter sieht, sie ihm offenbaret. Denn dadurch lernt er sie zuletzt auch selber erblicken. Wenn ich daher einige schwache Selbstkenntnis besitze, so ist sie sicher weniger die Frucht eigner Beobachtung oder eignen Lobes als des fremden, das ich bekam, und der Gewohnheit, mich selber allzeit so anzureden: »wie der Mann im Monde, wenns droben Nacht ist, der Erde leicht den Glanz ansieht, den wir hier, da wir ihr so nahe auf dem Halse sitzen, an ihr völlig übersehen: so wundere dich nicht, daß der arme lebende Teufel da an dir eine und die andere leuchtende Seite auskundschaftet, die dir wegen deiner eignen Nähe völlig entwischen müssen, sondern vergleiche dich mit den größten Potentaten, die oft hinter ihre schönsten Vorzüge nicht anders kommen können als durch das Geständnis eines aufrichtigen Hofmanns.«

Ueberhaupt trau' ich jedem, wenn man ihn auf dem Todtenbette fragte, wem man seines Bedünkens unter allen seinen Bekannten am allerwenigsten etwas vorgeschmeichelt habe, das Zeugnis zu: ihm selbst. Dieses gälte auf einem solchen Bette einem Schwure gleich.

Wenn meine Freunde getäuschter Weise besondere Geistesgaben auf meiner obigen Nase walten und leuchten sahen: so war mein Umgang schuld; dieser stieß sie in den Fehler aller Physiognomi-sten, die Schlüsse aus dem Umgange ganz mit den Schlüssen aus dem Gesichte zu vermengen und das mir anzusehen, was sie vorher auf eine viel gewissere Weise schon wußten. Eben so wenig hätt' ich selbst dem oft angeregten Gliede besondere Talente angemerket, wäre nicht der Mensch mit dem innern Gefühle seines Gehaltes bewaffnet und hätt' ich mich selbst minder gekannt.

Um dieselbe Zeit fingen die Bardendichter an, einen guten gesunden Vers zu setzen. Ich hüb das nämliche an. Nicht daß ich Unkundigen weißmachen wollte, ich hätte vorher keinen vernünftigen Vers gemacht und nachher herausgegeben; ich gestehe vielmehr von freien Stücken, daß viele meiner vorherigen Verse, das ist mein Musenpferd, wie ein wahres nürnbergisches Pferdchen aussah, ich meine, es war überall am Leibe mit poetischen geruchlosen Blumen übermalt und streckte im Hintern ein kurzes Pfeifchen aus, das ist den klingenden Reim: allein soviel sollte sich doch auch der unüberlegteste Liebhaber meiner gereimten Verse bescheiden, daß meine Bardenverse nirgends gereimt waren, sondern mit jedem Gedichte um die Wette streiten konnten, das durch unbeschreiblichen poetischen Putz und durch gesunden männlichen Flug sich gewissen Seevögeln (den Penguins) gleichsetzt, die mit gesticktem Gefieder des Leibes kurze nackte Flügel verknüpfen. Bei solchen Umständen wundere ich meines Ortes mich wenig, daß sich alle meine Seelenkräfte zusehends hoben - o! große Kritiker! ein Kopf, den Braga und Apollo nebst so vielen Musen und ihren Instrumenten und tausend anderen Sachen auf eine Viertelstunde besetzen wollen, um da etwas Poetisches und Melodisches aufzuspielen, ein solcher Kopf, glaub' Ich, muß groß werden oder es schon sein, und es thut zum Raum für so viele Gäste wenig, daß vorher alles Gehirn sauber hin-ausgekehret worden. Eben so mußte der Kopf des rhodischen Kolossus, in welchem oft ein ganzes Orchester Musikanten musizierte, groß nicht minder sein als hol. Der Mensch hat darum eine Nase und ernähret sie darum mit theuerem Spaniol, damit der Physiognomist aus ihr ersehe, was er von den Seelenfähigkeiten, die wenige Zolle höher wohnen, zu jeder Stunde zu halten habe; sie ist ein außen an der Schenke herausgestecktes Birkengipfelchen, das das Bier darin richtig verkündigt; sie ist ein Assekuranzbrief auf das verborgene Gehirn, und im Falle der Noth könnte man sich an niemand halten als an sie; sie ist der Erker des menschlichen Hauptes, das seines Orts der Schuldthurm der herabgebannten menschlichen Seele ist; endlich ist sie, glaub' ich noch immer, etwas ganz anders . . . Bei dem obigen Wachsthum meiner sämmtlichen Seelenkräfte hätte sich nun meine Nase zuerst ändern sollen: aber sie blieb noch, wie sie war.

Da ich indessen freilich mit der Vermehrung meiner Seelenkräfte durchaus nicht aufhörte, sondern sogar zu einer Wiener Sängerin (sie ist längst todt) ging und durch sie und meinen Wein allen meinen Witz und alle meine Phantasie in ein außerordentliches Feuer versetzte und zum größten Schaden meiner Gesundheit meine untern Seelenkräfte zu wiederholten malen jede Woche überschraubte: so hielt es natürlich meine so prosaische Nase nicht länger aus, sondern beurlaubte sich und machte sich bei Nacht und Nebel aus meinem Gesichte davon, hinter dem ein Geist stand, der sich so anstrengte und verbesserte. An der Stelle der alten hob sich ungesäumt eine neue in die Höhe, wie sie sich allenfalls für meine entfalteten Gaben schicken mochte. Und diese soll so lange an meinem Kopfe wohnen, als ich selbst darinne haushalte; was den Tod anlangt, so kann der uns am wenigsten auseinander werfen. Denn am Bonnetischen Körperchen, in und mit welchem meine arme Seele sich aus ihrem großen Körper und aus der Welt, worauf er steht, davon macht, muß auf alle Fälle eine zweite Auflage dieser äußern Nase sitzen. Ich habe diese Nase jetzt außer Haus statt meiner Silhouette an Herrn Geißler den Jüngern verschickt. Da er - wie sonst Zwerge durch ein schlechtes Blasen dem Ritterschlosse die Ankunft von Prinzessinnen und Riesen sagten - alle edle Deutsche ohne Rücksicht auf Geschlecht in der Stille lobt: so wird ers vielleicht in Kurzem die zehn Kreise Deutschlands und das Königreich Böhmen und Mähren und Lausitz Und einen Theil von Schlesien, deßgleichen die reichsritterschaftlichen Orte und verschiedene ganerbschaftliche Oerter gedruckt lesen lassen, daß die Senkung, die Wurzel, die Spitze, der Herunterschwung meiner neuen Nase seines Bedünkens nicht gemein wären, sondern Dinge prophezeieten, über die er seines Orts zu Zeiten staune wie ein Narr.   - Jean Paul, Auswahl aus des Teufels Papieren. Frankfurt / M. Berlin 1991 (zuerst ca. 1784/89)

 

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