ase, eigene  Vor seinen Augen spielte sich ein unerklärlicher Vorgang ab; an der Auffahrt hielt eine Kutsche; der Schlag öffnete sich; heraus sprang in gebückter Haltung ein Herr in Uniform und lief die Treppe hinauf. Wie groß war das Entsetzen und zugleich das Staunen Kowalews, als er bemerkte, daß dies niemand anders als seine eigene Nase war! Bei diesem ungewöhnlichen Schauspiel schien sich vor seinen Augen alles zu drehen: er spürte, daß er kaum noch imstande war, sich auf den Beinen zu halten; dennoch beschloß er, koste es, was es wolle, ihre Rückkehr in die Kutsche abzuwarten; dabei zitterte er wie im Fieber. Nach zwei Minuten kam die Nase tatsächlich wieder heraus. Sie trug eine goldbestickte Uniform mit einem hohen Stehkragen; dazu Beinkleider aus Sämischleder; an der Seite einen Degen. Dem Hut mit der Plümage nach zu schließen, nahm sie den Rang eines Staatsrates ein. Alles wies darauf hin, daß sie irgendwohin zu Besuch fuhr. Sie schaute nach rechts und links, rief dem Kutscher zu: »Vorfahren!« setzte sich und fuhr davon.

Der arme Kowalew hätte beinahe den Verstand verloren. Er wußte nicht, was er von diesem merkwürdigen Vorfall denken sollte. Wie war es um alles in der Welt möglich, daß eine Nase, die er noch gestern im Gesicht gehabt hatte und die weder fahren noch gehen konnte, in einer Uniform steckte! Er lief der Kutsche nach, die glücklicherweise nicht weit fuhr und vor der Kasaner Kathedrale stehenblieb.

Er eilte in die Kathedrale, zwängte sich durch die Reihen der alten Bettlerinnen mit verbundenen Gesichtern und zwei Öffnungen für die Augen, über die er früher so gelacht hatte, und betrat die Kirche. Beter im Innern der Kirche gab es nur wenige; und sie standen alle beim Eingang an der Tür. Kowalew befand sich in einem derart verwirrten Zustand, daß er nicht die Kraft aufbrachte, auch nur ein Wort des Gebets zu sprechen, sondern in allen Ecken nur diesen Herrn in Uniform suchte. Schließlich erblickte er ihn; er stand ganz abseits. Die Nase verbarg ihr Gesicht zur Gänze in dem hohen Stehkragen und betete mit dem Ausdruck majestätischer Andacht.

Wie an sie herankommen? dachte Kowalew. Dem ganzen Äußeren, der Uniform und dem Hut, ist zu entnehmen, daß sie Staatsrat ist. Weiß der Teufel, wie ich es anfangen soll!

Er begann neben ihr zu hüsteln; aber die Nase änderte keinen Augenblick lang ihre andächtige Haltung und machte eine Verbeugung nach der anderen.

»Sehr geehrter Herr ...« sagte Kowalew, indem er sich innerlich zu mehr Courage zwang, »sehr geehrter Herr ...«

»Sie wünschen?« antwortete die Nase und wandte sich um.

»Ich finde es erstaunlich, sehr geehrter Herr ... mir scheint ... Sie sollten doch Ihren Platz kennen. Und plötzlich finde ich Sie wo? - in der Kirche. Sie müssen doch zugeben ...«  - Nikolaj Gogol, Die Nase. In: N.G., Sämtliche Erzählungen. Stuttgart u. Hamburg 1961

 

Nase

 

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