Narrenreise   Als er am Sonntag zu jenem Baume kam, sagte er: »Guten Tag, jetzt möchte ich mein Geld haben.« Aber wer sollte ihm da antworten? Die Baumkrone etwa? Da wurde er wütend, er zankte und schimpfte, was er nur konnte: »Was machst du, gibst du mir das Geld oder nicht?« Er hieb auf den Baum los, als er keine Antwort bekam, und schlug so lange auf ihn ein, bis der Baum zu Boden fiel. Und siehe da, unter dem Baume war ein Kessel voll Geld. Als der Narr den Kessel voll Geld sah, lief er sogleich nach Hause und rief seinen Bruder. »Schnell, Bruder, schnell, laß uns den Schatz, das Geld für das Fell, heben!« Und sie gruben also den Kessel mit den vielen Münzen vollends aus und gingen damit nach Hause. Ihr eigenes Haus war aber verschlossen. »Es ist nie­mand zu Hause«, sagte sein Bruder. »Geh zum Popen2 und hole einen Korb, daß wir die Menge Münzen abmessen, aber hüte dich und sag dem Popen nicht, daß wir Geld abmessen , wollen.« Als er zum Popen kam, bat er ihn: »Ehrwürden, gebt mir einen Korb.« — »Nun, was willst du denn mit dem Korbe machen?« — »Wir wollen ein bißchen Geld abmessen.« Neugierig wie der Pope war, sagte er sich im stillen: da will ich doch auch zuschauen! Und er guckte durchs Fenster. Als der wahnsinnige Bruder den Popen durchs Fenster lugen sah, hob er einen großen Stein auf und warf ihn ihm an den Kopf, so daß der Pope tot zu Boden fiel. Da sagte sein Bruder: »O weh, was hast du bloß angerichtet, du Wahnsinniger, was sollen wir nun tun? Wir müssen fliehen!« Und sie flüchteten in einen großen Wald, kletterten auf einen hohen Baum und verblieben dort, bis es Tag wurde. Dieser Baum spendete einen großen Schatten, und jeder, der vorbeiging, hatte die Gewohnheit, sich in seinem Schatten auszuruhen. So kamen auch einige Fuhrleute vorüber und hielten an, um sich auszuruhen. Der Wahnsinnige saß oben in der Laubkrone und sagte: »Ich lasse mich jetzt hinunter.« Sein Bruder, ganz außer sich, antwortete ihm: »Um Himmels willen, schweig still, daß uns die Leute nicht hören.« Trotzdem fing der Wahnsinnige an hinunterzuklettern, und als er zur Hälfte unten war, ließ er sich plötzlich hinunterfallen. Ganz verstört und erschrocken waren die Leute, die im Schatten saßen, und sie stoben im Augenblick auseinander. Sie glaubten, das Jüngste Gericht wäre gekommen. Der Wahnsinnige blieb heil und hatte sich keinen Schaden getan und fand nun Säcke mit Reis, Mais und Weizen vor; in einem kleinen Säckchen war sogar Weihrauch. Er nahm das Säckchen mit Weihrauch, brannte es an, so daß ein starker Rauch gen Himmel aufstieg und gerade zum lieben Gott gelangte. Dem lieben Gott tat gerade ein Backenzahn weh, und von dem Rauch wurden die Schmerzen gelindert. Er schickte sogleich einen Heiligen auf die Erde und sagte: »Geh und sieh nach, wer derjenige ist, der mir dieses Gute angetan hat.« Da traf der Heilige auf den Wahnsinnigen. »Los, mach dich fertig,« sagte er zu ihm, »dich ruft der liebe Gott.« Sie brachen beide auf, und als sie im Himmel anlangten, fragte der liebe Gott den Narren: »Sag, was möchtest du denn gerne von mir haben?« Der Wahnsinnige sagte: »Nichts.« - (zig)
 
 

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