arrenfreiheit
Wenn Schwejk später sein Leben im Irrenhaus schilderte, geschah dies unter ungewöhnlichen
Lobpreisungen: »Ich weiß wirklich nicht, warum die Narren sich ärgern, wenn
man sie dort einsperrt. Man kann dort nackt auf der Erde kriechen, heulen wie
ein Schakal, toben und beißen. Wenn man das irgendwo auf der Promenade machen
möcht, möchten die Leute sich wundern, aber dort is es selbstverständlich! Dort
gibts so eine Freiheit, wie sich sie nicht mal die Sozialisten träumen lassen.
Man kann sich dort sogar für den Herrgott oder für die Jungfrau Maria ausgeben,
oder für den Papst, oder für den König von England, oder für Seine Majestät
den Kaiser, oder für den heiligen Wenzel, obzwar der letztere fort gefesselt
und nackt war und in der Isolierzelle gelegen is. Einer war auch dort, der hat
geschrien, er is ein Erzbischof, aber der hat nichts anderes gemacht als nur
gefressen und noch was hat er gemacht, mit Vergeben, Sie wissen schon, was sich
so bißl darauf reimt, aber dort schämt sich keiner dafür. Einer hat sich dort
sogar für den heiligen Cyrill und Method ausgegeben, damit er zwei Portionen
kriegt. Und ein Herr war dort schwanger und hat jeden zur Taufe eingeladen.
Dann hats dort viel eingesperrte Schachspieler, Politiker, Fischer und Skauts*,
Markensammler und Amateurphotographen. Einer war dort wegen alten Topfen, die
er Aschenurnen genannt hat. Einer war dort in der Zwangsjacke, damit er nicht
ausrechnen kann, wann die Welt untergehn wird. Auch mit paar Professoren
bin ich dort zusammengekommen. Einer von ihnen is mir fort nachgegangen und
hat mir erklärt, daß die Wiege der Zigeuner im Riesengebirge gestanden is, und
der andre hat mir auseinandergesetzt, daß im Innern der Erdkugel noch ein viel
größerer Erdball is als obenauf.
Jeder hat dort sprechen können, was er gewollt hat und was ihm grad auf die Zunge gekommen is, wie wenn er im Parlament war. Manchmal haben sie sich dort Märchen erzählt und sich bißl gerauft, wenns mit einer Prinzessin sehr schlecht ausgefalln is. Am wildesten war ein Herr, der sich für den 16. Band von Ottos Lexikon ausgegeben hat; der hat jeden gebeten, er soll ihn aufmachen und das Schlagwort ›Kartonagennäherin‹ finden, sonst is er herich verloren. Er hat sich erst beruhigt, wenn sie ihm die Zwangsjacke gegeben ham. Dann war er ruhig, weil er geglaubt hat, daß er in die Buchbinderpresse gekommen is, und hat gebeten, daß sie ihn modern beschneiden solln. Überhaupt hat man dort gelebt wie im Paradies. Man kann dort schrein, brüllen, singen, weinen, meckern, stöhnen, springen, beten, Purzelbäume schlagen, auf allen vieren gehn, auf einem Fuß hüpfen, im Kreis laufen, tanzen, den ganzen Tag auf der Erde kauern und auf den Wänden kriechen. Niemand kommt zu euch und sagt: ›Das dürfen Sie nicht machen, Herr, das paßt sich nicht, Sie könnten sich schämen, Sie wolln ein gebildeter Mensch sein?‹ Wahr is aber, daß auch ganz stille Narren dort sind. So war dort ein gebildeter Erfinder, der hat sich fort in der Nase gebohrt und hat nur einmal im Tag gesagt: ›Soeben hab ich die Elektrizität erfunden‹. Wie ich sag, sehr hübsch wars dort, und die paar Tage, die ich im Irrenhaus verbracht hab, gehören zu den schönsten meines Lebens.«
* Scout, Pfadfinder - Das Hašek-Lesebuch. Zürich 2008
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