Nah am Wasser gebaut  Sie verfiel recht bald gewohnheitsmäßig auf Tränen während ihres ersten Ehejahrs. Sie war sogar in den Tagen, in denen sie kein Spielverderber sein durfte, bekannt für ihren gelegentlich verschwenderischen und gedankenlosen Umgang mit Tränen gewesen. Wie sie sich im Theater aufführte, war ein allgemein bekannter Witz. Sie konnte bei einem Stück über alles und jedes weinen - über Kinderkleidchen, die Liebe, ob unerwidert oder gegenseitig, über Verführung, Reinheit, treue Diener, Hochzeitsszenen, Dreiecksbeziehungen.

»Schaut euch die Hazel an«, sagten ihre Freunde und sahen zu. »Da legt sie wieder los.«

Aber jetzt, entspannt im Hafen der Ehe, ließ sie ihre Tränen frei laufen. Für sie, die soviel gelacht hatte, war Weinen köstlich. Alle Sorgen wurden zu ihren Sorgen; sie war die Besorgtheit in Person. Sie vergoß ausgiebig warme Tränen bei Artikeln über entführte Babys, sitzengelassene Ehefrauen, arbeitslose Männer, streunende Katzen, heldenhafte Hunde. Auch wenn sie die Zeitung gar nicht mehr vor sich hatte, rumorte alles weiter in ihrem Gemüt, und die Tränen rollten schubweise über ihre Pausbacken.

»Ist doch wahr«, sagte sie zu Herbie, »soviel Trauriges gibt's auf der Welt, wenn man es mal bedenkt.«

»Tja«, sagte Herbie.  - Dorothy Parker, New Yorker Geschichten. Zürich 2003

 

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