adel  Gleich kommt man hier mit einer Nadel. Diese Nadel will man in ihre Ader hineinstechen. Aber diese Nadel wird zum Monstrum! Eine Nadel, zu dick, zu lang, zu gefährlich - ein Mord-Instrument! Sie wehrt sich! Sie wirft das hübsche, hölzerne Gestell, in dem die leeren Glas-Röhrchen auf ihr Blut warten, mit aller Kraft und Empörung auf den Fußboden und sieht mit Freude zu, wie das Glas zerbricht. Als könnte sie das vor der schrecklichen Nadel retten.  Und sie verliert ihren ersten Kampf gegen die Krankenschwestern, sie hört zum ersten. Mal die Alarm-Pfeife ertönen, die jede Krankenschwester an ihrer Schürze trägt, und sie kommen zu viert und mit ihnen die Zwangsjacke. Ein Anzug aus dickem, unzerreißbarem Stoff von heller Farbe. Die Ärmel sind so lang, daß die Hände darin verschwinden. An den Ärmeln und langen Hosen sind Bänder, mit denen man sie an den vier Ecken des Bettes anbindet. - Unica Zürn, Der Mann in Jasmin, nach (enc)

Nadel (2)  Ihre Augen glühten, und der Atem schlug flammend aus ihren Mündern, während die drei Hexen sich über den Kessel beugten und mit schmierigem Stock und knochigen Fingern den Inhalt prüften.

»Sehen wir uns wieder am dritten Tag,
Bei Regen, Blitz und Donnerschlag?«

Sie tanzten trunken am Gestade eines ausgetrockneten Meeres, verpesteten die Luft mit ihrem Hauch und versengten sie mit ihren bösartig glitzernden Katzenaugen.

»Um den Kessel zieh den Kreis,
Und hinein den Giftdarm schmeiß . . . .    
Eilt euch, müht euch, Flamme lodre,
Feuer brenn und Kessel brodle!«

Sie legten eine Pause ein und sahen sich suchend um. »Wo ist der Kristall? Wo sind die Nadeln?«
»Hier!«
»Gut!«
»Ist das gelbe Wachs geschmolzen?«
»Ja!«
»Gießt es in die eiserne Form!«
»Ist die Wachsfigur bereit?« Wie Sirup rann es von ihren grünen, knetenden Fingern.
»Stoßt die Nadel durch das Herz!«
»Den Kristall her, den Kristall! Zieh ihn aus der Kartentasche! Reib ihn blank, blick hinein!«
Mit weißen Gesichtern beugten sie sich über den Kristall.
»Seht, seht, seht. . .«

 

Ein Raumschiff raste durch den Weltraum von der Erde zum Mars. Menschen in dem Raumschiff lagen im Sterben.

Der Kommandant hob müde den Kopf. »Wir werden ihm Morphium geben müssen.«

»Aber, Kapitän . . .«

»Sie sehen doch selbst, in welchem Zustand sich der Mann befindet.« Der Kommandant hob die Wolldecke, und der Mann unter dem nassen Laken bewegte sich und stöhnte. Es roch nach Schwefel, und fernes Donnergrollen lag in der Luft.

»Ich hab' sie gesehen, ich hab' sie gesehen.« Der Mann öffnete die Augen und starrte aus der Luke, an der nur tiefschwarzer Raum vorüberzog, kreisende Sterne — und in der Ferne stieg der Mars groß und rot empor. Weit hinter ihnen lag die Erde. »Ich hab' sie gesehen — eine Fledermaus, ein riesiges Untier, eine Fledermaus mit einem Menschengesicht, wie sie über der vorderen Luke flatterte und flatterte und flatterte . . . und flatterte.«

»Puls?« fragte der Kommandant.

Der Krankenwärter zählte den Puls. »Hundertunddreißig.«

»Das hält er nicht lange aus. Geben Sie ihm Morphium. Kommen Sie, Smith.«

Sie gingen weiter. Plötzlich waren die Bodenplatten von Gebeinen und weißen, kreischenden Schädeln gesäumt. Der Kommandant wagte nicht, nach unten zu blicken, und das Gekreische übertönend fragte er: »Liegt hier Perse?« während er durch ein Schott in eine Kammer stieg.

Ein weißgekleideter Chirurg trat von einer Leiche zurück. »Ich verstehe das einfach nicht.«

»Woran ist Perse gestorben?«

»Wir wissen es nicht, Kapitän. Es war weder sein Herz, noch sein Gehirn, noch ein Schock. Er ist einfach — gestorben.«

Der Kommandant griff nach dem Handgelenk des Arztes, das sich in eine zischende Schlange verwandelte und ihn biß. Der Kommandant zuckte mit keiner Wimper. »Nehmen Sie sich in acht. Auch Ihr Puls schlägt zu schnell.«

Der Arzt nickte. »Perse klagte über Schmerzen — Nadelstiche, sagte er — in seinen Handgelenken und Beinen. Sagte, er fühle sich wie schmelzendes Wachs. Er fiel zu Boden. Ich half ihm auf. Er weinte wie ein Kind. Sagte, eine silberne Nadel durchbohre sein Herz. Er starb. Hier liegt er. Wir können die Autopsie wiederholen. Alles ist physisch vollkommen normal.«

»Das ist unmöglich! Er muß an irgend etwas gestorben sein!«

Der Kommandant schritt zu einer Luke. Er roch nach Menthol und Jod, und seine Hände mit manikürten und polierten Nägeln dufteten nach grüner Seife. Seine Zähne waren frisch geputzt und seine Ohren und Wangen vom Schrubben leicht gerötet. Seine Uniform strahlte hell wie frisches Salz, und seine Stiefel glänzten wie schwarze Spiegel. Selbst sein Atem war klar und frisch und rein. Sein kurzgeschorenes, krauses Haar roch scharf nach Alkohol. Nicht der geringste Fleck war an ihm zu entdecken. Er glich einem neuen Instrument, geschliffen und gerichtet, noch warm von der Gußform.

Seine Mannschaft stammte aus dem gleichen Guß. Sie waren wie teure, gut funktionierende und gut geölte Spielzeuge.

Der Kommandant beobachtete den Mars, der jetzt schnell größer wurde.

»In einer Stunde werden wir auf diesem verfluchten Planeten landen. Smith, haben Sie vielleicht auch Fledermäuse gesehen oder irgendwelche Alpträume gehabt?«

»Ja, Sir. In den Wochen, bevor unser Raumschiff von New York startete. Weiße Ratten bissen mir in den Hals und tranken mein Blut. Ich habe nichts davon erzählt, weil ich fürchtete, Sie würden mich nicht auf diese Reise mitnehmen.«

»Nur keine Angst«, seufzte der Kommandant, »auch ich hatte Träume. Fünfzig Jahre lang, solange ich lebe, habe ich nicht einen einzigen Traum gehabt, bis zu der Woche vor unserem Start von der Erde. Und dann träumte ich jede Nacht, ich sei ein weißer Wolf. Umzingelt auf einem schneebedeckten Hügel. Mit einer silbernen Kugel totgeschossen. Mit einem Pfahl in meinem Herzen vergraben.« Er deutete mit dem Kopf zum Mars hin. »Glauben Sie, Smith, daß sie von unserem Kommen wissen?«

»Wir wissen nicht einmal, ob es Lebewesen auf dem Mars gibt, Sir.«

»Nein? Vor acht Wochen, vor unserem Start schon, begannen sie uns abzuschrecken. Gerade haben sie Perse und Reynolds getötet. Gestern ließen sie Grenville blind werden. Wie? Ich weiß es nicht. Fledermäuse, Nadeln, Alpträume — Männer, die ohne jeden Grund sterben. Früher hätte man das Hexerei genannt. Aber wir schreiben jetzt das Jahr 2120, Smith. Wir sind aufgeklärte Menschen. All das kann einfach nicht passieren. Und doch geschieht es! Wer sie auch sein mögen, mit ihren Nadeln und Fledermäusen, sie werden versuchen, uns alle umzubringen.« - Ray Bradbury, Der illustrierte Mann. München 1972 (Heyne 3057)

Nadel (3)

 

Alltagsdinge Stechen

 

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Garn
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