Nachtstadt  MABBOT STREET, Eingang zur Nacbtstadt, vor dem sich ein ungepflasterter Straßenbahnausweichplatz mit skelettigen Geleisen, roten und grünen Irrlichtern und Gefahrensignalen erstreckt, Reihen kulissenhafter Häuser mit klaffenden Türen. Vereinzelt Laternen mit blassen regenbogenbunten Lichtfächern. Um Rabaiottis haltende Eisgondel zanken sich verkrüppelte Männer und Weiber. Sie grapschen nach Waffeln, zwischen die Kohlen und Kupfer schneeklumpen gestopft sind. Lutschend zerstreuen sie sich langsam. Kinder. Der Schwanenkamm der Gondel, hoch aufgereckt, arbeitet sich mühsam durch die Düsternis, weiß und blau unter einem Leuchtturm. Pfiffe rufen und antworten.

DIE RUFE Warte doch, Schatz, ich komm ja mit!

DIE ANTWORTEN Drüben hinterm Stall!

(Ein taubstummer Idiot mit Glotzaugen und ungestaltem Sabbermund ruckt und zuckt vorüber, vom Veitstanz geschüttelt. Eine Kette von Kinderhänden hält ihn gefangen.) 

DIE KINDER Linkshänder, Linkshänder! Hallo, Küßchen!

DER IDIOT (hebt einen gichtbrüchigen linken Arm und gurgelt): Ghrürüsssen!

DIE KINDER Wo ist das große Licht?

DER IDIOT (spuckend): Ghreghessen.

(Sie geben ihn frei. Er ruckt weiter. Eine pygmäenhafte Frau schaukelt auf einem Seil, das zwischen den Geländern gespannt ist, und zählt dabei. Eine Gestalt, die neben einer Mülltonne liegt, von Arm und Hut vermummt, regt sich, stöhnt auf, mit grollend mahlenden Zähnen, und schnarcht weiter. Auf einer Treppenstufe bückt sich ein Gnom, um einen Sack voll Lumpen und Knochen zu schultern, auf einem Müllabladeplatz zusammengeklaubt. Ein altes Weib, das mit qualmender Öllampe dabeisteht, rammt die letzte Flasche in den Wanst seines Sacks. Er hievt seine Beute, rückt sich die Schirmmütze schief und humpelt stumm davon. Die alte Frau macht sich auf den Heimweg zu ihrem Lager, die Lampe schwingend. Ein säbelbeiniges Kind, das mit einem Papierfederball auf der Haustreppe hockt, kriecht ihr in Rucken von der Seite nach, klammert sich an ihren Rock, klimmt an ihr empor. Ein betrunkener Kanalarbeiter packt, schwer wankend, mit beiden Händen das Gitter eines Kellerfenster-Schachts. An einer Ecke die hochgewachsenen Gestalten zweier Nachtwächter in Schultercapes, die Hände auf den Knüppelholftern. Ein Teller zerscherbelt; eine Frau schreit; ein Kind jammert. Flüche eines Mannes brüllen, murren, verstummen. Gestalten wandern, lauern, lugen aus Wohnlöchern. In einem Zimmer, erhellt von einer Kerze, die in einem Flaschenhals steckt, kämmt eine Schlampe einem skrofulösen Kind den Schorf aus dem Haar. Cissy Caffreys Stimme, noch jung, singt schrill aus einer Gasse.)

CISSY CAFFREY

Ich schenkte es Molly,
Die war ja so jolly,
Das Entenbein mein,
Das Entenbein fein.

(Gemeiner Carr und Gemeiner Compton, Qffiziersstöckchen fest unter den Achseln, marschieren schwankend heran, machen rechtsum kehrt und lassen beide mit dem Mund eine Furzsalve los. Gelächter von Männern aus der Gasse. Ein heiseres Dragonerweib grollt Antwort.)

DAS DRAGONERWEIB Die Krätze euch in den Pelz, ihr Drecksärsche! Mehr Macht dem Cavan-Mädchen!

CISSY CAFFREY Und mir mehr Glück. Cavan, Cootehill und Belturbet. (Sie singt)  

Ich schenkte es Nelly,
We steckt's in ihr belly,
Das Entenbein mein,
Das Entenbein fein.  

(Gemeiner Carr und Gemeiner Compton drehen sich um und brüllen Antwort, die Waffenröcke blutleuchtend im Lampenlicht, schwarze Stülpmützen auf den gestutzten Blondschöpfen. Stephen Dedalus und Lynch schreiten durch die Menge, dicht an den Rotröcken vorüber.)

GEMEINER COMPTON (stößt den Finger vor): Platz für den Pfaffen!

GEMEINER CARR (dreht sich um und ruft): Heda, Pfaffe!

CISSY CAFFREY (mit höher erhobener Stimme):

Sie hat es, sie hat's, 
Wo, weiß die Katz',
Das Entenbein fein.

(Stephen, den Eschenstock schwungvoll in der Linken, singt voller Freude den Introitus für die Osterzeit. Lynch, die Jockeymütze tief in der Stirn, begleitet ihn; ein Grinsen der Mißzufriedenheit zerrt an seinem Gesicht.)

STEPHEN Vidi aquam egredientem de templo a latere dextro. Alleluia.

(Die hungergierigen Fangzähne einer ältlichen Kupplerin schieben sich aus einem Torweg vor.)

DIE KUPPLERIN (mit heiser flüsternder Stimme): Ssst! Kommt doch mal her, ich hab was für euch. Prima frische Jungfern drinnen. Ssst!

STEPHEN (altius aliquantulum): Et omnes ad quos pervenit aqua ista.

DIE KUPPLERIN (spuckt ihren Giftstrahl auf ihre Fährte): Mediziner vom Trinity. Der fallopische Gang. Taschen leer, aber nischt wie Nischel im Kopp.   - (joy)

Nachtstadt (2) Unter den Naturgewalten gibt es eine, deren allzeit anerkannte Macht immer geheimnisvoll und mit dem Menschen eng verbunden bleibt: es ist die Nacht. Diese große schwarze Illusion richtet sich nach der Mode und den Gefühlsschwankungen ihrer Sklaven. Die Nacht unserer Städte ähnelt nicht mehr jenem Hundegebell römischer Finsternis noch der Fledermaus des Mittelalters nochjenem Bild der Schmerzen, das die Nacht der Renaissance ist. Sie ist ein riesiges Ungeheuer aus Blech, tausendmal von Messern durchbohrt. Heutzutage ist das Blut der Nacht singendes Licht. Wandelbare Tätowierungen hat sie auf ihrer Brust, die Nacht. Sie trägt Lockenwickler aus sprühenden Funken, und dort wo aller Rauch verschwindet, haben Menschen gleitende Gestirne erklommen. Die Nacht verfügt über Pfeifen und schimmernde Seen. Sie hängt wie eine Frucht an der Erdküste, ist in der goldenen Faust der Städte wie ein Viertel von einem Ochsen. Der zuckende Leichnam hat sein Haar über die Welt ausgebreitet, und in diese Büschel, die letzten, flüchtet sich das fragwürdige Phantom der Freiheiten und stillt am Rand der vom Gemeinsinn beleuchteten Straßen sein wahnsinniges Verlangen nach offenem Himmel und Gefahr. So verschmilzt in den Öffentlichen Anlagen das dichteste Dunkel wie durch einen verzweifelten Kuß mit der Liebe und der Revolte.  - (ara)
 
 

Nacht Stadt

 

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