Nachtreise   Die Kerzen dürfen nicht ausgeblasen werden, dachte er. Licht muß sein, Licht, Licht, Licht. Docht und Wachs dürfen nie niederbrennen. Den ganzen Tag und die ganze Nacht lang müssen die drei Kerzen wie drei Mädchen an meinem Bett erröten. Diese drei Mädchen müssen mich schützen.

Die erste Flamme tanzte und ging aus. Über die zweite und dritte Flamme machte Callaghan seinen grauen Mund spitz. Das Zimmer war finster. »Wo sollen wir heut nacht hingehn?« sagte er, aber wartete auf keine Antwort, sondern zog die Decken vom Bett und hob Peter in seinen Armen hoch. Sein Mantel lag feucht und süßlich auf Peters Gesicht.

»Ach, Callaghan, Callaghan«, sagte Peter, den Mund ins schwarze Tuch gepreßt. Er spürte die Bewegungen von Callaghans Körper, die straffen Muskeln, und die Muskeln, die nachgaben; die Rundung der Schultern, den Aufschlag der Füße auf den rasenden Erdball. Ein Wind, der unter dem Ton und Lehm der Erde hervorkam, fegte zu seinem verborgenen Gesicht auf. Erst als die Zweige der Bäume über seinen Rücken kratzten, erkannte er, daß er nackt war. Um nicht laut aufzuschreien, preßte er seine Lippen fest über einer feuchten Hautfalte zusammen. Callaghan war auch nackt, nackt wie ein kleines Kind.

»Sind wir nackt? Wir haben unsere Knochen und unsere Organe, unsere Haut und unser Fleisch. Ein Band von Blut ist in dein Haar geflochten: fürchte dich nicht. Du hast ein Gewebe von Adern um deine Lenden.« Die Welt jagte an ihnen vorüber, der Wind flaute zu nichts ab und wehte die Früchte der Schlacht unter den Mond. Peter hörte die Lieder von Vögeln, aber es waren keine Lieder, wie er sie aus den Kehlen der Vögel auf dem Fenstersims seines Schlafzimmers gehört hatte. Die Vögel waren blind.

»Sind sie blind?« fragte Callaghan. »Sie haben Welten in ihren Augen. Es ist weiß und schwarz in ihrem Pfeifen. Fürchte dich nicht. Es sind helle Augen unter ihren Eierschalen.«

Plötzlich hielt er an, mit dem federleichten Peter in seinen Armen, und ließ ihn leise auf einen Ball aus grüner Erde nieder. Zu seinen Füßen lag ein Tal, das weit in die Ferne zog, mit seiner Last von lahmen Bäumen und Gras; in die Ferne, wo der Mond an einer Nabelschnur von der Finsternis niederhing. Aus den Bäumen zu beiden Seiten kam das scharfe Knacken von Flinten, und die Fasane fielen wie ein Regen. Aber bald war die Nacht still und machte die Drücker der gefallenen Zweige weich, die unter Callaghans Füßen zerknackt waren.

Peter wußte, daß sein Herz krank war, führte eine Hand an seine Seite, aber spürte keine Spur von schützendem Fleisch. Die Spitzen seiner Finger umklirrten leise das strömende Blut, aber die Adern waren unsichtbar. Er war tot. Nun wußte er, daß er tot war. Der Geist Peters, unsichtbar um den Geist des Blutes geflochten, stand auf seinem Erdball und staunte die zerfressene Nacht an.

»Was ist das für ein Tal?« sagte Peters Stimme.

»Das Jarvistal«, sagte Callaghan. Auch Callaghan war tot. Kein Knochen und kein Haar erhob sich mehr unter dem gleichmäßig fallenden Frost.

»Da ist kein Jarvistal.«

»Das ist das nackte Tal.«

Der Mond, der die Kraft seiner Strahlen verdoppelte und abermals verdoppelte, erhellte die Rinden und Wurzeln und Aste der Jarvisbäume, die geschäftigen Läuse im Holz, die Formen der Steine und die schwarzen Ameisen, die unter ihnen dahinzogen; die Kiesel in den Bächen, das geheime Gras, die nimmermüden toten Würmer unter den Halmen. Aus ihren Löchern in den Flanken der Hügel kamen die Ratten und Wiesel, weißhaarig im Mond-licht, und vermehrten sich und kämpften miteinander, während sie abwärts eilten, hinab, um ihre Zähne in die Kehlen der Rinder zu schlagen. Und kaum fielen die Rinder ausgesogen zu Boden und die Wiesel eilten davon, da kamen alle Fliegen vom Dünger der Felder aufgeflogen, kamen wie ein Nebel heran und ließen sich auf die Talhänge nieder. Da stieg vom geschundenen Tal der Geruch des Todes auf und blähte die bergigen Nüstern im Gesicht des Mondes.

Nun fielen die Schafe, und die Fliegen machten sich über sie her. Die Ratten und die Wiesel, die um ihr Fleisch kämpften, fielen eines nach dem ändern verwundet nieder, und die Flöhe der Schafe stierten aus ihrem Haar. Für Peter war es nur eine kleine Weile, bis die Toten, abgenagt bis auf die symmetrischen Knochen, vom Wind unter die Erde gefegt wurden, der lauter und härter wehte als das Fallen der fetten Fliegen ins Gras. Nun lösten der Wurm und der Totenkäfer die Fasern der Knochen, arbeiteten an ihnen, hell und präzise, und die Krauter aus den Augenhöhlen und die Blumen auf den verschwundenen Brüsten erblühten in den Farben des toten Lebens frisch auf ihren Blättern. Und das Blut, das geflossen war, floß über den Boden hin, stärkte die Grashalme und brachte in seinem Lauf in den Mund des Frühlings die wind gepflanzten Samen zum Aufgehen. Plötzlich waren alle Bache rot von Blut; zwanzig gewundene Adern, da und dort über allen zwanzig Feldern, stockten mit ihren geronnenen Kieseln.

Peter in seinem Geist schrie laut vor Freude. Es war Leben im nackten Tal, Leben in seiner eigenen Nacktheit. Er sah die Bäche und das schlagende Wasser, sah, wie die Blumen aus den Toten hervorschossen und die Halme und Wurzeln vom Strom des vergossenen Blutes in ihrer Kraft verdoppelt wurden.

Und die Bäche standen still. Staub der Toten wehte über den Frühling, und der Mund wurde erstickt. Staub lag über den Wassern wie dunkles Eis. Licht, das bewegt und alläugig gewesen war, gefror in den Mondstrahlen.  - (echo)

Nacht Reise

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