Nachtclub   Der Club 118 befindet sich im fünften Stock eines der größeren Gebäude auf dem Gelände des Rockland State Hospitals, und er bietet eine Kabarettvorstellung, die, das verspreche ich euch, selbst für die kritteligsten Amüsement Jäger der Stadt einen Kitzel hat. Ich werde diesen Club sogar einigen meiner Freunde empfehlen, die einen ganzen Abend lang beim Klavierspiel Art Tatums ausharrten, ohne eine Note zu hören, ein Wort zu sagen oder den Boogie-woogie-Paderewski eines Blickes zu würdigen. Club 118 wird es ihnen antun. Einen Nachteil hat der Club jedoch, den ich Ihnen genausogut gleich gestehen kann. Sie können sich nicht einfach hinsetzen und zuschauen. Sie müssen einen recht langen Korridor auf und ab gehen und durch fünfzig Türschlitze spähen, von denen jeder kaum einen Fuß breit ist. Diese Schlitze gestatten Ihnen einen Blick in fünfzig Einzelzellen. In diesen Zellen sind fünfzig Frauen im Alter von sechzehn bis achtzig Jahren. Sie alle sind nackt. Und, wie von einem unsichtbaren Taktstock geleitet, verfolgen sie alle das gleiche Ziel - sich selbst umzubringen.

Die Zellen sind kahl, kein einziges Möbelstück ist zu sehen, nicht einmal eine Matratze. Die Kabarettvorstellung findet auf einem weißgekachelten Boden statt. Weder Gewänder sind der Truppe erlaubt noch Strümpfe noch Korsagen noch Schuhe — denn jedes dieser Ausstattungsstücke würde sofort dazu mißbraucht, sich zu strangulieren oder zu erhängen. In diesen Räumen, die öde sind wie ein frisch gezimmerter Sarg, liegen die fünfzig Nackten, manche zusammengerollt wie schlafende Kätzchen, andere in seltsamen Verrenkungen, so als hätte 'sie etwas mitten in einem Tanze niedergestreckt. Einige sitzen auf dem Boden, den Rücken gegen die Wand gelehnt, die Beine von sich gestreckt, und starren auf um sie verstreute Essensreste. Sie sind reglos wie Säulenheilige. Da ist eine achtzigjährige Negerin, die auf Händen und Knien langsam von einer Seite des Sarginneren zur anderen kriecht und deren körperliche Kraft für die Schwestern ein Wunder ist. Eine andere Frau sieht wie da Vinci aus. Ihre Haartracht ist erstaunlich. Sie hat sich die Hälfte der Haare ausgerissen. Und während lichter Momente besteht sie manchmal darauf, daß man ihr die andere in Locken legt. Dann gibt es das griechische Mädchen mit dem klassisch geschnittenen Gesicht; reglos und lächelnd steht es da wie eine Statue neben einem Bassin. Dann die schwarzhaarige Jüdin mit dem schmalen ägyptischen Gesicht, das wie Mondlicht schimmert. In genau der Pose, die Pavlova im Finale ihres Schwanentanzes einnahm, sitzt sie auf dem Boden. Ihr Gesicht ist zur Seite gewandt, und hin und wieder verzerren sich dessen sanfte Züge zu einer Zornesgrimasse.

Ein anderes, weißhaariges Mitglied der Truppe sitzt mit überkreuzten Beinen da, Qual starrt aus ihren dunklen Augen wie bei einer Hexe am Tag des Jüngsten Gerichts. Gelegentlich kommt Aufruhr in die fünfzig Zellen. Es kann geschehen, daß eine von der Truppe sich erhebt und sich mit dem Kopf zuerst gegen die Wand wirft. Die aufmerksamen Krankenschwestern treten ein, und die Überaktive wird in ein heißes Bad gesteckt.   - Ben Hecht, 1001 Nachmittage in New York. Frankfurt am Main 1992 (it 1323, mit Zeichnungen von George Grosz, zuerst 1941)

 

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