Nacht, unnatürliche    Eine Frage, die uns die substantielle Nacht stellt, läßt sich so formulieren: Ist sie, diese Nacht, natürlich, unnatürlich, übernatürlich oder unübernatürlich?

Von einem korrekten wissenschaftlichen Standpunkt aus kann sie keineswegs nicht natürlich sein: da sie aber etwas zu sein scheint, das nirgends seinesgleichen findet, und dieser Umstand bei jedem ihr Hörigen so einzigartige Gefühle erweckt, daß sie keine Ähnlichkeit haben mit den Gefühlen eines Menschen, der zum Beispiel die Natur oder auch ihre schrecklichen und großartigen Schauspiele liebt, sagen wir also, wenn besagte Nacht natürlich ist, müssen wir unseren Naturbegriff ändern; und da alles naturgemäß Existierende etwas Zusammengesetztes zu sein scheint, dessen einzelne Elemente wir auch in anderen Kombinationen antreffen, müssen wir einräumen, diese unsere nächtliche Natur ist nicht unvereinbar mit dem Einfachen, nicht mit etwas zusammengesetzt, mit widersprüchlichen Eigenschaften ausgestattet - sie läßt sich weder anfassen noch durchdringen und ist unzugänglich für das Licht -, ist nicht teilbar, jeglichem anderen Ding unähnlich, nicht organisch und, wie es scheint, auch nicht anorganisch, sie wandelt sich nicht durch Wachstum oder natürliche Veränderungen, nützt sich nicht ab, nicht durch das Vergehen der Zeit und nicht durch die beharrlichen Unbilden des Wetters, obwohl sie weder hart noch fest ist, und man eigentlich nicht sagen kann, sie hätte irgendeine Dichte wie etwa der Rauch, die Luft oder der Schatten. Aber ein wenig Erfolg konnte die gewiß nicht wissenschaftliche These, besagte Nacht sei unnatürlich, doch verbuchen: denn das heißt eigentlich, daß die Natur zu Verhaltensweisen fähig ist, die dem widersprechen, was wir für ihre Regeln halten. Somit wäre die Nacht eine Entgleisung, ein Laster, ein Defekt des Natürlichseins.   - Giorgio Manganelli, Kometinnen und andere Abschweifungen. Berlin 1997

Nacht Unnatürlich

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB

 

Synonyme