Nach der Jagd auf Adler und Milane haben wir auf die Hunde geschossen: wenn
eine Kugel in ihre Nähe fiel, machten sie sich, ohne zu laufen, langsam davon.
Wir standen auf einer Kuppe, sie auf einer anderen; das kleine Tal zwischen
uns und ihnen lag vollständig im Dunkeln. Ein weißer Hund, in der Sonne aufgepflanzt,
mit aufgerichteten Ohren. - Der, den Maxime an der Schulter verletzt hat, krümmte
sich wie ein Halbmond, rollte zuckend am Boden und trollte dann weiter . . .
sicher um in seinem Loch zu verrecken. An der Stelle, wo er getroffen worden
war, sahen wir eine Blutlache, und eine Spur kleiner Tropfen führte in Richtung
Schlachthaus. Es handelt sich um ein Gehege von mittelmäßigem Umfang, 300 Schritt
von dort entfernt; außerhalb liegen aber hundertmal mehr Kadaver als drinnen,
wo man kaum etwas anderes als Eingeweide und Berge
von Unrat sieht. Dahinter, zwischen der Mauer und dem daran anschließenden Hügel,
kann man für gewöhnlich die meisten umherkreisenden Vögel sehen. Das ganze Gelände
dieses Viertels besteht nur aus Aschehaufen und Tonscherben. Auf einem Stück
Ton Blutstropfen. - (
orient
)
Nachmittag (2) Sobald ich wieder bei Atem war, rannte
ich über die Straße. Sie war ganz vereist, und ich wäre beinah hingefallen.
Ich weiß nicht, warum ich so rannte - wahrscheinlich einfach, weil es mir Vergnügen
machte. Als die Straße hinter mir lag, hatte ich ein Gefühl, als ob ich unsichtbar
würde. Es war so ein verrückter Nachmittag, furchtbar kalt, keine Sonne, und
jedesmal wenn man eine Straße kreuzte, hätte man ein Gefühl, als ob man verschwände. -
J. D. Salinger, Der Fänger im Roggen. Reinbek bei Hamburg 1969 (rororo 851,
zuerst 1951)
Nachmittag (3)
Nachmittags nehme ich ein Buch in die Hand |
- Sarah Kirsch, in: Tintenfisch 1. Jahrbuch für Literatur. Berlin 1968
Nachmittag (4) Toussaint Lanouvelle stand in dem engen Vorraum, keuchte wie ein Ochse, jammerte aber nicht. Mit beiden Händen hielt er sich den Bauch. Wie in einem schrecklichen Alptraum machte der tödlich getroffene Hüne einen Schritt nach vorn, dann noch einen, wie die Statue des Komturs, genauso unerbittlich.
Der frühlingshafte Nachmittag war still, friedlich und mild. Das Tageslicht fiel durch die offenstehende Zimmertür in den Vorraum. Der Schwarze sah mich an, falls er überhaupt noch irgendwas erkennen konnte, so weit, wie er war. Weit weg. Sehr weit sogar. Jetzt ließ er seinen Bauch los. Ich meinte, das Blut brodeln zu hören, aus seinen Eingeweiden spritzen und die Beine runterlaufen zu sehen. Er streckte mir seine fürchterlich langen Arme entgegen.
Ich stand wie versteinert da, erkannte die Gefahr erst, als es zu spät war. Angewidert sah ich, wie sich seine blutverklebten Hände auf mein Gesicht zubewegten, auf meinen Hals. Der Hüne bäumte sich zum letzten Mal auf, glaubte, alle fünf Sinne beieinander zu haben - so ein Unsinn! - und vermutete in mir einen Komplizen seines Mörders. Ich wollte der furchtbaren Umklammerung ausweichen, aber zu spät. Seine Hände rutschten auf meine Schultern, seine stählernen Finger krallten sich fest, wild entschlossen, nicht mehr loszulassen.
Und in diesem Moment muß er wohl gestorben sein. Aufrecht, wie Emily Brontë. Nur war er verdammt viel schwerer als die zierliche Engländerin. Ein Schluchzen schüttelte ihn. Er fiel wie ein Klotz zu Boden und riß mich mit sich. Jetzt lag ich unter ihm.
Der Lebende beerbt den Toten. Das ist ein Rechtsprinzip, Yolande!
Und da ich beim Zitieren bin: Haben Sie schon
mal einen Toten geohrfeigt?, fragte Louis
Aragon. Haben Sie sich schon mal mit einer Leiche
herumgeschlagen?, frage ich. - Léo Malet, Bambule am Boul' Mich'. Reinbek
bei Hamburg 1990 (zuerst 1982)
Nachmittag (5) Hortense war entzückt,
in seinen Einbrecherarmen zu liegen, und sie ließ sich von dem Einbrecher auf
alle vorstellbaren Weisen penetrieren. Es war so etwas wie der Altweibersommer
ihrer Liebe. Sie verbrachten köstliche und unzüchtige Nachmittage miteinander.
Sie aßen Spaghetti mit Ei oder von Hortense mit Liebe aufgewärmte Pizzas, dazu
Mandelkuchen, die Madame Groichant ihr zusammen mit anderen Näschereien zukommen
ließ, damit sie nicht vom Fleisch fiele. Gegen Abend brach Morgan zu seinen
Einbrüchen auf und kam am frühen Morgen zum Schlafen zurück. - Jacques
Roubaud, Die schöne Hortense. München 1992 (dtv 11602, zuerst 1985)
Nachmittag (6) Die Fliegen sitzen
auf einem Stück Muskel, das die Hunde verschleppt haben. Die Sonne röstet es
mit der Inbrunst einer aufmerksamen Köchin und macht es für die Fliegen pikant.
Man kann in dieser augenblicklichen Schweigsamkeit eines verschüchterten Nachmittags
überall tief hineinhorchen, auch dort, wo die Gasse ganz dunkel ist. Würde man
Menschen begegnen in ihr, man könnte den Takt ihres Herzschlages beobachten,
man könnte vielleicht die Wisser und Nichtwisser unterscheiden. Nur der schmutzige
Fluß, der jenseits der Häusermauern faul und übelriechend vorbeikriecht und
die Stadt belästigt, scheint jetzt laut geworden zu sein und gesprächige Wellen
klatschen an die weißen Quader der Kais. Der hungrige Pudel bellt in die Sonne
hinauf und sucht dann die schmalen Schatten zwischen verlassenen Türbänken.
Ein eifriger Obstler ordnet seine kümmerliche Ware und scheucht das Insekt von
seinem Besitztum. Ab und zu klatscht ein verdorbener Apfel auf die großen Rieselkoppen.
Das indiskrete Lächeln des Obstlers geht an die Fensterreihen entlang, als stände
jeder Gardine der Verräter bereit. Gedankenlos klappt der Stiefel der Polizei
vorüber, auf und ab, zurück und wieder her, ein Rundgang wie ein Wirbel im schmutzigen
Fluß.
- Victor Hadwiger, Il Pantegan. Abraham Abt. Prosa. München 1984 (zuerst
1912/1919)
Nachmittag (7)
Nachmittag (8) Der
sonnige, langsam lullende Nachmittag geht gähnend durch die nickende Stadt.
Die See leckt und läppert und flutet träge, mit schlafenden Fischen in ihrem
Schoß. Die Weiden sind still wie Sonntag; die Stiere mit geschlossenen Augen
und Troddeln, die Waldtäler mit Ziegen und Gänseblümchen halten wohlig und ruhig
ihr träges Schläfchen. Die stummen Ententeiche dösen. Wolken senken sich als
weiche Kissen auf den Llareggub-Berg. Schweine grunzen im nassen Suhlebad und
lächeln im nuschelnden Traum. Sie träumen vom Eichelfreßtrog der Welt, vom Wurzelwühlen
nach Schweineobst, von den Dudelsackzitzen der Muttersau und dem Quieken und
Schnüffeln der jasagenden Schweineweibchen zur Brunstzeit. Sie suhlen sich und
schnauzen in der schweineliebenden Sonne; ihre Schwänze ringeln sich, sie rollen
und seibern und schnarchen sich ein, in den tiefen behaglichen Schlaf nach dem
Fraß. Und Esel auf der Eselweide nicken wie Engel ein. - Dylan Thomas, Unter dem Milchwald.
Ein Spiel für Stimmen. Nachdichtung von Erich Fried. Heidelberg 1954
|
||
![]() |
||
![]() |
![]() |
|
![]() |
||
|
|
|
![]() ![]() |
![]() ![]() |