Nachglühen  Ich war nie zuvor in einer Kneipe an der Bowery gewesen. Ich hatte den Ausdruck »die unteren Tiefen« gehört; ich weiß nicht mehr, wo. Ich glaube, ich habe ihn mal gelesen. Das war es nun. Die tiefste Tiefe von allen, diesseits des Grabes. Dahinter kam nichts mehr - nur der Tod, der Fluß. Das waren keine Menschen mehr. Das waren Schatten.

Aber eines war noch kläglicher als sie selbst, es sagte noch mehr über das, was aus ihnen geworden war. Es war die Stille, die eintrat, als ich hereinkam. Diese verhaltene Atemlosigkeit. Ich bin danach noch in viele Lokale gegangen, aber das ist mir in dieser Form nie wieder passiert. Männer in einer Bar verstummen oft, wenn eine Frau eintritt. Aber das war es nicht. Es war nicht Bewunderung oder gar Begierde. Ich weiß selbst nicht, wie ich es nennen soll. Es war die Erinnerung an jemand in der Vergangenheit jedes einzelnen dieser Männer, an jemand wie mich, vor langer Zeit, weit weg, die für einen Moment zurückkam, bevor die Erinnerung wieder verschwand und verlosch - für immer. Es war ein letztes Nachglühen des Lebens, das auf den Gesichtern der Toten leuchtete, als ich an ihnen vorbeistreifte.  - Cornell Woolrich, Der schwarze Engel. Zürich 1988

 

Glut

 

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