Nabel, irischer    Die Arme Callinans schlossen sich über der Engländerin. Sie hing sich an ihn und umschlang ihn unter seiner Jacke. Sie streichelte seine muskulösen Schulterblätter. Dann folgte sie der knochigen und knotigen Bahn der Wirbelsäule und begann mit der anderen Hand sein Hemd aufzuknöpfen. Sie spürte das feuchte Fleisch des Iren, und unter ihren Fingern zogen sich die Brustmuskeln zusammen. Sie rieb ihr Gesicht an seiner Schulter, die nach Pulver, Schweiß und Tabak roch. Ihre Haare kitzelten den Rebellen im Gesicht. Einige dieser Haare, blond und leicht, drangen ihm in die Nasenlöcher. Er mußte niesen. Er nieste. — Du bist genau so blöd wie der König von England, murmelte Gertie.

Callinan dachte das auch, denn er hatte keine hohe Meinung von dem britischen Monarchen und fand es andererseits außerordentlich sträflich und dumm, eine Engländerin in seinen Armen zu halten, Ursache all des Unglücks seiner Nation und dazu ein verfluchtes Aufstands-Hemmnis. Ohne sie wäre alles so einfach in diesem kleinen Postamt. Man würde auf die Briten schießen, peng, peng, und man hätte seinen klar vorgezeichneten Weg zum Ruhm und zum Guinnessbier oder zu, umgekehrt, einem heroischen Tod, und da mußte sich diese dumme Gans, dieses Trampeltier, diese Wanze, diese Maus, diese blöde Kuh, diese Ziege gerade im tragischsten und entscheidendsten Augenblick auf dem Wece einsperren, und jetzt hatte man sie am Hals, das konnte man wohl sagen, sie, die Aufständischen, als moralische, unerträgliche und vielleicht spekulatorische1 Bürde.

Selbstverständlich, Erschauern, Zuckungen, Wallungen, die in ihm waren, erinnerten ihn daran, daß er nur ein armer Sünder war, ein Mensch des Fleisches, aber er dachte immer an seine Pflicht und an die von John Mac Cormack anempfohlene Korrektheit. Unterdessen hatte Gerde den Nabel des Iren entdeckt. Die Statuen sowie in der Öffentlichkeit umherschwirrende Gerüchte hatten sie auf den Gedanken gebracht, daßdieser Teil des menschlichen Körpers bei Mann und Frau identisch sei. Allerdings war sie sich nicht ganz sicher, verliebt wie sie in ihren eigenen Nabel war, in den sie so gern den kleinen Finger hineinsteckte, um dran zu reiben, was sie besonders angenehm und weiblich fand. Selbst wenn man annehmen wollte, daß die Männer den gleichen Nabel hatten, dachte sie, recht verworren übrigens, daß es doch zweifelhaft war, ob er so tief und so sanft und so süß war.

Über Callinans Nabel, den zu kitzeln sie genauso angenehm empfand wie den eigenen, war sie entzückt. Callinan selbst, der Junggeselle war, kannte kaum den Reiz der Präliminarien zum radikalen Akt, da er immer nur auf Heuhaufen oder pappigen Kneipentischen aufgelesene Trutscheln oder Vetteln gejagt hatte. Er vertrug diese Liebkosungen nur schlecht und sah voraus, daß diese Folge von Gebärden auf etwas ganz anderes schließen ließen als auf einen anständigen Korb. Doch wo dieser Schluß sich abspielen sollte, das fragte er sich gerade jetzt, wo er kurz vor der Übergabe stand. Er hatte noch einen vorletzten Skrupel: das gesellschaftliche Niveau seiner Iphigenie, dann einen letzten: die Jungfräulichkeit der Kleinen. Aber als er daran dachte, daß diese Jungfräulichkeit vielleicht nur wahrscheinlich war, gab er jedes Nachdenken auf und widmete sich ohne Hintergedanken der geschlechtlichen Betätigung, die durch die Provokation der jungen Angestellten des Post Office ausgelöst worden war.   - (sally)

1 Lateinischer Ausdruck (von speculatrix, Spionin). Läßt sich nicht ins Deutsche übersetzen, das, wie jeder weiß, eine arme Sprache ist. (A. d. Ü.)

Nabel

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