Mythos, afrikanischer  Er erzählte Abbie die Geschichte von Budu Sulber, dem heiligen König seines Stammes. Budu Sulber war das Kind einer kenianischen Frau und eines knochenlosen weißen Mannes.

„Das alles ist schon viele, viele Jahre her. Vier mal hundert. Bevor der knochenlose Weiße zu uns kam, gab es nur normale Kinder und Menschen. Aber eines Tages kam er zu unserem Stamm. Er wurde von zwölf Sklaven in einem Bett getragen, und er konnte sich nicht rühren. Aber seine Herrschaft war grausam. Er tötete die Männer und die Kinder und viele Frauen. Einige Frauen aber nahm er mit. Er gründete nicht weit von dem zerstörten Dorf unserer Väter ein neues Dorf. Alle Frauen, mit denen er schlief, mußten danach sterben. Er brauchte sie nicht zu töten, denn sie starben von selbst an einer unheilbaren Krankheit. Nur eine einzige überlebte. Sie gebar Budu Sulber. Weil das Kind von außen so aussah wie sie, innen aber keine Knochen besaß, so wie sein Vater, schämte sie sich. Doch es war nicht nur Scham, sondern auch eine große Angst in ihr, da sie nicht wußte, was aus ihrem Kind werden sollte. Drei Tage und drei Nächte verbarg sie es eingegraben in einer kleinen Erdkuhle in ihrer Hütte. Von dem kleinen Wesen war nur noch der Mund zu sehen, der aus dem Sand schaute und tagsüber von einem Kohlblatt bedeckt war. Die Mutter gab dem Kind in ihrer Verzweiflung und Angst nichts von ihrer Milch. Aber Budu Sulber starb trotzdem nicht.

Da grub ihn seine Mutter wieder aus. Nun war sie bereit, ihn zu stillen, doch jetzt wollte er nicht. Stattdessen wies er mit seinem winzigen Finger auf einen blühenden Zweig, der von draußen in den Eingang der Hütte ragte. Seine Mutter pflückte die Blüten ab und gab sie ihm zu essen. Er aß sie-

ben Blüten. Danach konnte er sprechen. Er sagte seiner Mutter, daß er gekommen sei, die wenigen zu befreien, die von unserem Stamm noch übrig geblieben waren, und daß er den knochenlosen Weißen, seinen Vater, zu töten gedachte.

,Aber wie willst du das anfangen?' fragte ihn seine Mutter. ,Du bist schwach und klein und hast keine Knochen.'

,Frag nicht und tu einfach folgendes', sagte das Kind. ,Morgen früh stehst du auf und gehst mit einem Korb voller fauler Gemüseblätter zur Abfallgrube. Wenn man dich fragt, was du da hast, dann sagst du: Der Leib ist tot, aber das Skelett ist unsterblich. Doch wohl dem, der ohne Skelett und nur als Leib zu leben versteht. Denn er ist unsterblicher noch als die Götter. Er ist reiner als die Tiere. Er ist weiser als die Menschen. Er hat die Natur der Pflanze und die Kraft des Steins. Doch ist er frei von Wurzeln und Trägheit.

Dann wirfst du mich mit dem ganzen Abfall in die Grube.'

Seine Mutter fing an zu weinen. ,Das kann ich nicht tun', schluchzte sie. ,Du wirst da unten liegen und ersticken und bald sterben.'

Doch Budu Sulber tröstete sie. Er versprach wiederzukommen, nachdem er zwölf Jahre in einem anderen Land zugebracht habe, um alles Wissen zu sammeln, das nötig sei, um unseren Stamm zu retten."

Abbie kannte die Geschichte. Er hatte auch irgendwo eine Interpretation darüber gelesen. Einige Ethnologen waren der Meinung, daß in diesem Mythos der Grund für die Einrichtung der Abfallgruben erklärt werde, obwohl Abbie diese Begründung nicht ganz hatte nachvollziehen können, da der Mythos selbst die Abfallgruben schon voraussetzt.

„Und kam der Retter wirklich nach zwölf Jahren?" fragte Abbie den Händler.

„Unsere Weisen sind sich nicht einig, was ,zwölf Jahre' genau bedeutet. Es gibt so viele Zeitrechnungen. Jeder Mensch hat eine eigene Zeit."   - (blue)

 

Afrika Mythos

 

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