ystiker  Je suis mystique et je ne crois à rien. - Gustave Flaubert

Mystiker (2) Eines von Léon Bloys Vorbildern, Carlyle, wurde nicht müde zu betonen, die Weltgeschichte sei ein Buch, das wir unaufhörlich lesen und schreiben müssen und in dem auch wir geschrieben werden; ein anderer, der Visionär Swedenborg, sah in allen uns umgebenden Geschöpfen, Tieren, Pßanzen oder Mineralien, Entsprechungen geistiger Dinge. Leon Bloy verstand das Universum als eine Art göttliche Geheimschrift, in der jeder Mensch ein Wort, ein Buchstabe oder vielleicht nur ein Satzzeichen ist. Er leugnete den kosmischen Raum; er behauptete, seine Tiefen und sein Leuchten seien nichts anderes als eine Projektion des menschlichen Bewußtseins. Irgendwann meinte er, wir befänden uns bereits in der Hölle, und jede Person sei ein Dämon, damit beauftragt, seinen Mitmenschen zu quälen.

Ohne Unterschied verabscheute er England, das er die «Infame Insel» nannte, wie auch Deutschland, Belgien und die Vereinigten Staaten. Nicht nötig hinzuzufügen, daß er Antisemit war, obwohl eines seiner besten Bücher Le salut pour [par?!] les Juifs (Die Erlösung durch die Juden) betitelt ist. Er prangerte die italienische Heimtücke an; nannte Zola den «Kretin aus den Pyrenäen»; beschimpfte Renan, France, Bourget, die Symbolisten und die Menschheit im allgemeinen. Er schrieb, Frankreich sei das auserwählte Volk, und die übrigen Nationen sollten sich darauf beschränken, die Krumen aufzulecken, die von seinem Teller fielen. Immerhin verherrlichte er «die Seele Napoleons», der gerade kein Franzose war. Er war ein glühender gallikanischer Katholik und Rom nicht übermäßig zugetan.

Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Historiker der Zukunft in ihm einen Mystiker sehen werden. - Jorge Luis Borges, Vorwort zu: Leon Bloy,  Unliebsame Geschichten. (Die Bibliothek von Babel, Bd. 4. Hg. J. L. Borges) Stuttgart 1983

Mystiker (3) Wenn wir den moralisch-physischen Zustand des Menschen hier im Leben auch auf dem besten Fuß annehmen, nämlich eines beständigen Fortschreitens und Annäherns zum höchsten (ihm zum Ziel ausgesteckten) Gut: so kann er doch (selbst im Bewußtsein der Unveränderlichkeit seiner Gesinnung) mit der Aussicht in eine ewig dauernde Veränderung seines Zustandes (des sittlichen sowohl als physischen) die Zufriedenheit nicht verbinden. Denn der Zustand, in welchem er itzt ist, bleibt immer doch ein Übel, vergleichungsweise gegen den bessern, in den zu treten er in Bereitschaft steht; und die Vorstellung eines unendlichen Fortschreitens zum Endzweck ist doch zugleich ein Prospekt in eine unendliche Reihe von Übeln, die, ob sie zwar von dem großem Guten überwogen werden, doch die Zufriedenheit nicht Statt finden lassen, die er sich nur dadurch, daß der Endzweck endlich einmal erreicht wird, denken kann.

Darüber gerät nun der nachgrübelnde Mensch in die Mystik (denn die Vernunft, weil sie sich nicht leicht mit ihrem immanenten, d. i. praktischen Gebrauch begnügt, sondern gern im Transzendenten etwas wagt, hat auch ihre Geheimnisse), wo seine Vernunft sich selbst, und was sie will, nicht versteht, sondern lieber schwärmt, .als sich, wie es einem intellektuellen Bewohner einer Sinnenwelt geziemt, innerhalb den Grenzen dieser eingeschränkt zu halten. Daher kommt das Ungeheuer von System des Lao-kiun von dem höchsten Gut, das im Nichts bestehen soll: d. i. im Bewußtsein, sich in den Abgrund der Gottheit, durch das Zusammenfließen mit derselben und also durch Vernichtung seiner Persönlichkeit, verschlungen zu fühlen; von welchem Zustande die Vorempfindung zu haben, sinesische Philosophen sich in dunkeln Zimmern, mit geschlossenen Augen, anstrengen, dieses ihr Nichts zu denken und zu empfinden.  - Immanuel Kant, Das Ende aller Dinge

Mystiker (4) Der Komponist Fumet setzte sich zum Ziel, mystische Musik zu machen, die er dann an mit mysteriösem Klamauk veranstalteten Abenden für teures Geld zum Besten gab. Ich nahm an einem solchen Abend teil. Am Boden, in den Ecken standen verschiedene Chimären, aus denen blaugelbes Licht hervorsickerte. Das war die Bekleidung des Raumes. Fumet kam in einem weißen Kittel auf die Bühne wie ein Indier und spielte eine ganz leise Musik. Der Raum bekam allmählich einen schauerlichen Geruch. Die Töne wurden physisch sichtbar, das heißt, so komisch es auch klingt, bei jedem Akkord hupste plötzlich von irgendwo her ein seltsamer Geist hervor, der Verwünschungen gegen die Zuhörer schrie. Die Musik wurde dabei immer lauter und das aus den Chimären hervorsickernde Licht immer dunkler. Einige Zuhörer fielen in Ohnmacht, aber sie sahen. - (szi)

Mystiker (5) Wir lachen über Jacob Böhmen? Als wenn das Übernatürliche das er sprechen wollte natürlich klingen könnte. Wenn uns die Bewohner des Merkur oder der Sonne Bemerkungen im Deutschen erzählten, die sie mit andern Sinnen als die unsrigen angestellt hätten, würde eine solche Erzählung viel vernünftiger kimgen? Einmal 3 ist eins haben wir ja schon in unsrer Religion, warum kann es nicht auch eine milchwarme Musik, und eine bittere Qualität die aus dem Centro kommt als wenn sie primus werden wollte geben? Vielleicht ist Jakob Böhmes Buch, wovon ein Engel eben das Urteil fällen würde das wir davon fällen, zuweilen Nonsense, und zuweilen sogar erhaben. Ich glaube nicht daß Jakob Böhme ein Betrüger war, 1) weil er schon als Junge seinem Herrn gepredigt hat, der ihn auch fortschickte weil niemand den Propheten (so hießen sie ihn) im Hause behalten wollte. 2) weil er seine Schriften nicht gedruckt haben wollte, ein Gewisser von Adel borgte sie ihm ab, zerteilte das Manuskript unter verschiedene Schreiber und kopierte es auf diese Art in kurzer Zeit, so kam es zum Druck, ausgebreitet wurde es durch die Schmähungen des Herrn Primarii zu Görlitz Gregorius Richter.   - (licht)

Mystiker (6) Ich hatte einen Freund, der in seiner Art auch Metaphysiker war, wütend und uneingeschränkt, in manchem an  Saint-Just erinnernd. Er sagte oft zu mir, wobei er ein Beispiel aus dem Leben nahm, und sah mich dabei schief an: »Jeder Mystiker besitzt ein verheimlichtes Laster.« Ich pflegte dann bei mir den Gedanken fortzusetzen: Folglich muß man es ausrotten. Dabei lachte ich aber, denn ich verstand ihn nicht. Als ich eines Tages mit einem Buchhändler sprach, der sehr bekannt ist und eine große Kundschaft besitzt und dessen Spezialität es ist, die Gesellschaft von Mystikern und dunklen Anbetern der geheimen Wissenschaften zu bedienen, da sagte er mir, als ich ihn wegen seiner Kundschaft ausfragte: »Denken Sie immer daran, daß jeder Mystiker ein geheimes Laster besitzt, oft ein sehr handgreifliches; dieser die Trunksucht, jener die Schlemmerei, der dritte die Unzucht; der eine ist sehr geizig, der andere sehr grausam und so weiter .. .« - (cb)

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