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Thomas Mann, nach: Kurt Böttcher, Johannes Mittenzwei, Zwiegespräch. Deutschsprachige
Schriftsteller als Maler und Zeichner. Leipzig 1980
Mutter
Natur (2) Betrachtet das Insekt auf eurem Wege: eine kleine,
unbewußte Wendung eures Fußtrittes ist über sein Leben oder Tod entscheidend.
Seht die Waldschnecke, ohne alle Mittel zur Flucht, zur Wehr, zur Täuschung,
zum Verbergen, eine bereite Beute für Jeden. Seht den Fisch sorglos im noch
offenen Netze spielen; den Frosch durch seine Trägheit von der Flucht, die ihn
retten könnte, abgehalten; den Vogel, der den über ihm schwebenden Falken nicht
gewahr wird; die Schaafe, welche der Wolf aus dem Busch ins Auge faßt und mustert.
Diese Alle gehn, mit wenig Vorsicht ausgerüstet, arglos unter den Gefahren umher,
die jeden Augenblick ihr Daseyn bedrohen. Indem nun also die Natur ihre so unaussprechlich
künstlichen Organismen nicht nur der Raublust des Stärkeren, sondern auch dem
blindesten Zufall, und der Laune jedes Narren, und dem Muthwillen jedes Kindes,
ohne Rückhalt Preis giebt, spricht sie aus, daß die Vernichtung dieser Individuen
ihr gleichgültig sei, ihr nicht schade,, gar nichts zu bedeuten habe, und daß,
in jenen Fällen, die Wirkung so wenig auf sich habe, wie die Ursache. Sie sagt
dies sehr deutlich aus, und sie lügt nie: nur kommentirt sie ihre Aussprüche
nicht; vielmehr redet sie im lakonischen Stil der Orakel. Wenn nun die Allmutter
so sorglos ihre Kinder tausend drohenden Gefahren, ohne Obhut, entgegensendet;
so kann es nur seyn, weil sie weiß, daß wenn sie fallen, sie in ihren Schooß
zurückfallen, wo sie geborgen sind, daher ihr Fall nur ein Scherz ist. -
(wv)
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