ustererkennung    Frucht der langjährigen Forschungen waren besondere, von ihm angefertigte ›Brandpläne‹ sowie sogenannte ›Brandmodifikationen‹. Auf den ersten waren alle Stadtteile, Gebäude und Häuser hervorgehoben, die jeweils von einer Katastrophe betroffen worden waren, ohne Rücksicht darauf, ob die Brandspuren verwischt oder die Schäden repariert worden waren oder ob man die Brandstätte ihrem Schicksal überlassen hatte. Die Pläne dagegen, die den Namen ›Brandmodifikationen‹ trugen, unterstrichen die Veränderungen, die als Folge einer Brandkatastrophe in der Anordnung der Häuser und Baulichkeiten eingetreten waren; alle Verschiebungen, selbst die geringste Abweichung von dem Stand vor dem Brand wurden hier mit erstaunlicher Pedanterie eingezeichnet.

Nach der Herstellung der Pläne beider Typen war Herr Antoni im Laufe der Jahre zu überaus interessanten Ergebnissen gelangt. Er hatte die Brandstätten verschiedener Ortschaften mit Linien verbunden und festgestellt, daß in achtzig von hundert Fällen die entsprechenden Brandstellen die Umrisse merkwürdiger Gestalten ergaben; hauptsächlich waren es die Formen kleiner, komischer Geschöpfe, die manchmal durch ihr Aussehen an Mißgeburten erinnerten, ein andermal sich eher dem Typus kleiner Tiere näherten: Äffchen mit langen, schalkhaft gewundenen Schwänzchen, flinke bogenförmig gespannte Eichhörnchen, scheußlich komische Meerkatzen.

Czarnocki ›entnahm‹ seinen Plänen eine ganze Galerie solcher Wesen, färbte sie zinnoberrot ein und bevölkerte mit ihnen ein originelles, einzigartiges Album mit der Aufschrift »Album der Feuer- und Brand-Elementargeister« auf dem Einband.

Den zweiten Teil dieser Sammlung bildeten ›Fragmente und Projekte‹ - eine Unzahl grotesker Figuren, unausgeformter Gestalten, kaum angedeuteter Einfälle. Es gab hier Umrisse von Köpfen, Bruchstücke von Körpern, Arm- und Beinstümpfe, Ausschnitte aus zottigen, gespreizten Pfoten; stellenweise erschienen auch geometrische Figuren, gewundene, zerfetzte Flecken oder fühlerartige, polypenhafte Auswüchse.

Czarnockis Album machte den Eindruck, als wäre es das Werk einer launischen Phantasie, die das grotesk-diabolische Element liebt und es mit einem Heer boshafter, chimärischer und unberechenbarer Geschöpfe füllt. Die Sammlung des Leiters der Feuerwehr sah aus wie ein Scherz, wie der rote Scherz eines genialen Künstlers, der einen seltsamen Traum gehabt hat.  - Stefan Grabinski, Das Abstellgleis. Frankfurt am Main 1971 (Insel, Bibliothek des Hauses Usher, zuerst 1953)

Mustererkennung (2) Zu den ersten Dingen, die Watt  lernte, gehörte die Tatsache, daß Mr. Knott manchmal spät aufstand und früh zu Bett ging, und manchmal sehr spät aufstand und sehr spät zu Bett ging, und manchmal  weder aufstand noch zu Bett ging, denn kann zu Bett gehen, wer nicht aufgestanden ist? Was Watt hier interessierte, war die Tatsache, daß, je früher Mr. Knott aufstand, er um so später zu Bett ging, und daß, je später er aufstand, er um so früher zu Bett ging. Aber zwischen dem Zeitpunkt seines Aufstehens und dem seines Zubettgehens schien es keine konstante Wechselbeziehung zu geben, es sei denn eine so abstruse, daß es sie nicht gab, für Watt. Lange Zeit war dies eine Ursache großer Verwunderung für Watt, denn er sagte. Hier ist einer, der anscheinend einerseits zögert, seinen Zustand zu verändern, und den es andererseits dazu drängt. Denn montags, dienstags und freitags stand er um elf auf und ging um sieben zu Bett, und mittwochs und samstags stand er um neun auf und ging um acht zu Bett, und sonntags stand er weder auf noch ging er zu Bett. Bis Watt begriff, daß es zwischen dem aufgestandenen Mr. Knott und dem zu Bett gegangenen Mr. Knott sozusagen keinen Unterschied gab. Denn sein Aufstehen war kein Wechsel vom Zustand des Schlafens in den des Wachens, und sein Zubettgehen war keiner vom Zustand des Wachens in den des Schlafens, sondern sein Aufstehen und sein Zubettgehen waren Wechsel von einem Zustand, der weder einer des Schlafens noch einer des Wachens war, in einen Zustand, der weder einer des Wachens noch einer des Schlafens war. Selbst von Mr. Knott konnte man schwerlich erwarten, daß er Tag und Nacht in der gleichen Lage blieb. - (wat)

Mustererkennung (3)  Es mag  angebracht sein, eine Reihe von Rohzerreißungsopfern im Umkreis des Dionysos aufzuzeigen, da erst die Fülle das Muster der Dionysos-Mythe eindeutig macht. So haben wir von Pentheus gehört, dessen Mutter Agaue eine Schwester der Mutter des Dionysos, Semele, ist. Eine weitere Schwester der Semele, Autonoe, gebiert den Aktäon, den großen Jäger (eine Zweitausgabe des jagenden Dionysos als kretischem Zagreus), der jedoch, weil er der jungfräulichen Artemis nachstellte, von deren Hunden wie ein Stück Jagdbeute zerrissen wird. Die dritte Schwester der Semele, Ino, ist diejenige, der von den Göttern der kleine Dionysos übergeben wird; sie wird also zur Amme. Diese Ino wird von Hera zum Wahnsinn getrieben und wirft ihren Sohn Melikertes in einen Kessel kochenden Wassers.

Das Interessante an all diesen Varianten ist nicht nur die Umkehrung des Inzest-Motivs (die Mütter töten oder verspeisen ihre Kinder), sondern auch die Symbolik des Zerreißens, Zerstückelns und - im letzten Falle - des Kochens, die auf die Unterwelterlebnisse der sibirischen Schamanen verweist, die ja, bevor sie „gestählte" Schamanen sind, erst zerhackt, gekocht, gebraten und auf dem Amboß geschmiedet werden müssen.  - Klaus-Peter Köpping, in: alcheringa oder die beginnende Zeit. Hg. Hans Peter Duerr. Frankfurt am Main 1983

Mustererkennung (4)

- Manfred Schmidt,  Nick Knatterton Gedenkausgabe, Oldenburg u. Hamburg 1971 (Stalling, zuerst 195*)

Mustererkennung (5)

Mustererkennung (6)  Der Gedanke, daß sich die Natur den Bedürfnissen der Menschen fügen sollte, gehörte nicht zu den Vorstellungen der Navajos. Die Navajos versuchten vielmehr, sich selbst den Gegebenheiten der Natur anzupassen und in Harmonie mit dem Universum zu leben. Wenn die Natur ihnen den Regen versagte, versuchten die Navajos, das Schema dieses Phänomens zu ergründen - genau wie er selbst bei allem, was ihm begegnete, das Schema zu ergründen versuchte —, um seine Schönheit zu entdecken und mit ihr in Harmonie zu leben.

Jetzt forschte Leaphorn nach einem Schema im Verhalten eines Mannes, der lieber versuchte, einen Polizisten zu töten, als ein Strafmandat wegen zu schnellen Fahrens zu bekommen. - Tony Hillerman, Das Labyrinth der Geister. München 1997

Mustererkennung (7)

Mustererkennung (8)

Mustererkennung (9)

Mustererkennung (10)  In Frankreich, dem Land, wo ich nun schon lange lebe, ist das Rauchen in öffentlichen Gebäuden, in den Cafés und den Bars, seit mehreren Jahren untersagt. Auf diese Weise gehört manches, was sich dort in den Toiletten, den alten, denen von früher, aus der Raucherepoche, zum Beispiel betrachten läßt, gleichsam ins Blickfeld der Archäologie. An bestimmten Stellen, oben auf dem einst reinweißen Email der Spülkästen, auf der ebenfalls ursprünglich vielleicht weißen blechernen Deckklappe, oder wie die heißt, für die Papierrolle haben die Benutzer und Raucher in den Cafe- und Barklosetts ihre brennenden Zigaretten abgelegt, und die Glut hat auf den Unterlagen eine Art Muster hinterlassen. Jedenfalls begegnen mir, sowie ich auf solche Orte von früher, aus der Zeit vor dem Rauchverbot, stoße — sie werden im übrigen immer seltener —, die Brandflecken als ein Muster, in welches ich mich jedesmal pflichtgemäß, in meiner Rolle als Gesellschaftswesen, nach Kräften vertiefe.

Jene Muster erscheinen mir von Stillem Ort zu Stillem Ort ziemlich verschieden. Es liegt mir fern, sie zu deuten. In der Natur draußen bin ich immer wieder versucht, Spuren zu lesen, von Tieren wie von Menschen, und das erscheint mir selbstverständlich. Auch die Aschenglutstellen in den Toiletten sehe ich als Spuren, einmal epische, einmal dramatische, nur daß ich nichts aus ihnen herauslese, weder, wie manchmal in einem Wald- oder Flußuferschlamm, die Spuren von Verirrten, Spuren eines Kampfes, noch die Spur eines Menschen, der unversehens nicht mehr weiter weiß, die Spur eines, ob Mensch oder Tier, der mit oder gegen sich selber kämpft. Die Glutspuren auf den Wasserkästen und Blechklappen, ob vereinzelt oder geballt, ob nur kurz angedeutet oder ins Blickfeld deutlich eingebrannt, mit schwärzlichen Schmauchhöfen wollen nicht gelesen werden. Sie wecken statt dessen meine Phantasie, welche dabei unbestimmt bleibt, ohne auch nur den Ansatz zu einer Geschichte - unbestimmt und frei, Muster für eine andere Geschichte; und wenn die Betrachtung der Muster etwas imaginiert, so keinerlei Bilder von dem, was da an den Stillen Orten einmal wirklich geschah: es ziehen vielmehr, indem ich diese episch-dramatischen Muster erforsche, andere und wieder andere Bilder, mögliche, an meinem, wie es früher hieß, inneren Auge vorbei, ebenso epische und gleichermaßen dramatische. Seltsamer Forscher, ich. Seltsames Gemeinschaftswesen. Aber war das nicht von Anfang an so?  - Peter Handke, Versuch über den Stillen Ort. Frankfurt am Main 2012

Mustererkennung (11)  Ich entsinne mich meines Kinderzimmers. Die Musselinvorhänge am Fenster waren mit verschlungenen weißen Borten besetzt, und ich versuchte darin die Buchstaben des Alphabets wiederzufinden. Wenn ich die Buchstaben erwischt hatte, verwandelte ich sie in Zeichnungen, die ich mir ausdachte: H, ein Mann auf einem Stuhl; B, ein Brückenbogen über einem Fluß. In dem Zimmer standen mehrere Truhen, und offene Blüten waren leicht in das Holz geschnitzt. Meine Vorliebe aber galt zwei Pfeilerkugeln, die man hinter den Vorhängen gewahrte; ich hielt sie für die Köpfe von Kasperlfiguren, mit denen zu spielen verboten war.  - Max Jacob, Der Würfelbecher. Frankfurt am Main 1968 (zuerst 1917/23)

Mustererkennung (12)  In den ersten Tagen war er mit gleichsam traumwandlerischer Sicherheit an den Fall herangegangen, so als sei ein Teil von ihm bereits im Besitz der Lösung. Auf dem Hof des Black Prince an der Leiche des ermordeten Mädchens hatte er auf einmal das Gefühl gehabt, als sähe er das Grundmuster von Verstrickungen vor sich, deren Opfer Sylvia Kaye geworden war. Er hatte gedacht, das Einzige, was ihm zu tun übrig bliebe, sei, die Dinge, die ihm im Laufe der Ermittlungen zur Kenntnis gelangen würden, entsprechend diesem Muster zu ordnen. Das war der Grund, warum er - wie ihm erst jetzt im Nachhinein klar wurde - alles, was er später erfuhr, mit so etwas wie einem Vorurteil gesehen hatte, nur im Hinblick darauf, ob es in das Grundmuster passte. Aber inzwischen kam es ihm so vor, als seien die Fakten von Mal zu Mal sperriger. Wenn es nicht an den Fakten lag, dann blieb nur die Alternative, dass das Grundmuster nicht stimmte. Früher war er manchmal am Nachmittag vor einem Rennen die Liste der gemeldeten Reiter und Pferde durchgegangen, hatte die Augen geschlossen und versucht sich die Schlagzeilen in der Morgenpresse vorzustellen. Mit Unbehagen erinnerte er sich daran, dass seine Schlagzeilen nie Realität geworden waren. Was allerdings den Fall Kaye anging, so rnusste er — wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war - zugeben, dass er völlig unvernünftigerweise noch immer glaubte, auf dem richtigen Weg zu sein. - Colin Dexter, Der letzte Bus nach Woodstock. Reinbek bei Hamburg 1985

Mustererkennung (13) 


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