uskel, starker

 

 

- Alain Le Saux

Muskel, starker (2)  Anna und Signe, die auf dem Boden ein gemeinsames Schlafzimmer hatten, begannen, nachdem sie sich dorthin zurückgezogen, ein Gespräch. Als Anstoß dazu dienten die Tränen und Seufzer, die die ältere Schwester nicht zurückhielt.

»Du bist unglücklich«, begann Signe, »und deine Tränen klagen mich an. Es zerfällt dir deine gute Meinung von der Weltordnung. Du begreifest nicht, weshalb jener junge Mann sich mir anträgt, du aber ein Ding kleinen Wertes in seiner Nähe bist. Du machst dich auf zu den Tanzböden, lassest dich' einladen zu jungen Menschen. Bist allzeit fröhlich. Von deiner Heiterkeit leben solche, die trübe sind. Keiner der Beglückten findet einen Anlaß, daß er sich dir anträgt. Du hassest mich, weil mir, ohne daß ich mich mühe, anderes geschieht. Du beneidest mich. Doch wird manches an mir zu entdecken sein, was deinen Beifall nicht findet. Mein Temperament ist dir zuwider. Du würdest dich selbst, in meiner Haut, nicht gerecht dünken. Nun starrst du auf meinen Körper, auf das Gesicht dieser Haut, und es spricht in dir: man Hebt sie um ihrer äußeren Schönheit willen.« »Du kannst von der Behauptung nichts abnehmen«, begann Anna ihre Entgegnung auf die lästige Rede der Schwester, »wer vermag sich mit dir zu messen, wenn du entkleidet bist? Du brauchst dich nicht zu bemühen, zu'lächeln. Du kannst schlafen und schelten und töricht sein, ohne abzunehmen von der Gewalt deines Eigentums. Ein Weib, das neben dir lebt, steht wie im Schatten. Ich kann dich nicht anschauen, ohne zu begreifen, ich bin verworfen, ehe denn die Äußerungen meines Karakters sich zeigen.« Sie atmete schwer. Ihre runden Augen schwammen in einem Naß. Und sie war lieblich anzuschauen. Aber es war viel fettes Fleisch an ihr. Und sie war zu alt für ihre Üppigkeit. Und fuhr fort: »Es treibt dich, so oft nur ein Anlaß ist, die Kleider abzustreifen, daß die Luft dir den nacjkten Leib umschmeichelt. Und das Licht, das du in der Sonne und im Mond liebst. Weil du deine Gestalt Hebst. Betört bist du durch dein Selbst. Da ist Genugtuung in deinem Blick, wenn er auf den Knospen deiner Brüste, auf deinen Schenkeln ruht. Du hast begriffen, deine Seele bewohnt ein kostbares Gehäuse. Mein Los ist es, nahe dir, mich einzuhüllen, fester um mich zu ziehen die Kleider, daß keine Blöße auskommt, die mich verraten würde.« »Du bist nicht mißgestaltet. Weshalb erniedrigst du dich, um mich zu beschimpfen? Du willst Sündiges daran finden, daß ich verträglich mit meinem Leibe bin? Daß ich nicht sein Widersacher, der ihn bedroht und bespeit? Sich seiner schämt, sich vor ihm verschließt? Auf mich passen viele Volkslieder, gewiß. Du aber hast einige versäumt. -Schwesterlein, Schwesterlein, wann gehn wir nach Haus. Es pochet ein Bursche leise. Du milchjunger Knabe. Ich muß hinaus, ich muß zu dir. In den Garten woll'n wir gehen. - Ist es nicht ein Unrecht, leben zu wollen, wenn man ein Feind seiner Gestalt geworden? Atmen mit Lungen, die man erbrechen möchte? Speise geben einem Bauch, dessen Fett man abreißen möchte? Wie vermag man mit Augen zu sehen, die in das Selbst hineinbeißen? Wie kann man mit Lüsten leben, denen man nur erliegt, ohne frei zu sein? Denen man frönt, ängstend in Sündigkeit? Ich verstehe von dem, was du aussprichst, nur wenig. Du singst die Meinung, man müsse Sklave sein, gedernütigt. —«

Die großen faltigen Hände begannen eine Bewegung als kneteten sie Ton. Oder fettig zähen Teig. Da war diese Unfruchtbarkeit im eigenen Kopf, die nicht in die Gedanken des anderen hineinzuwachsen gestattete, die sich tödlich nur auf Eigenes besinnen hieß. Und den Mund als einen Apostel aussandte. Die Rede anzuhalten war unmöglich. Die Zunge war ein starker Muskel.  - Hans Henny Jahnn, Perrudja. Frankfurt am Main 1966 (zuerst 1929)

 

Körperteile, menschliche Kraft

 

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