Musikhören (2) Überall waren Lautsprecher
montiert. Schönbächler liebte Symphonien. Seine
Theorie (er war voller Theorien): Symphonien zwängen am wenigsten zum Mithören,
man könne dazu gähnen,'essen, lesen, schlafen, Gespräche führen usw., in ihnen
hebe die Musik sich selber auf, werde unhörbar wie die Musik der Sphären.
Den Konzertsaal lehnte er als barbarisch ab. Er mache aus der Musik einen Kult.
Nur als Hintergrundmusik sei die Symphonie statthaft, behauptete er, nur als
»Fond« sei sie etwas Humanes und nicht etwas Vergewaltigendes, so habe er die
Neunte Beethovens erst begriffen, als er dazu einen Potaufeu gegessen habe,
zu Brahms empfahl er Kreuzworträtsel, auch Wiener Schnitzel seien möglich, zu
Bruckner Jassen oder Pokern. Am besten jedoch sei es, gleich zwei Symphonien
gleichzeitig laufen zu lassen. Das tat er denn auch angeblich. Des Getöses bewußt,
das er entfesselte, hatte er für die drei übrigen Parteien des Hauses die Miete
nach einem genau berechneten System ausgeklügelt. Die Wohnung unter seiner Wohndiele
war die billigste, der Mieter hatte nichts zu bezahlen, nur Musik auszuhalten,
stundenlang Bruckner, stundenlang Mahler, stundenlang Schostakowitsch, die mittlere
Wohnung kostete das übliche, die unterste war beinahe unerschwinglich. Schönbächler
war ein empfindsamer Mensch. - Friedrich Dürrenmatt, Justiz. Zürich 1987
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