Mundwinkelzucken  Liebe Maleen, - ich möchte noch etwas anhängen, was mich betroffen gemacht hat, nämlich als Du mir erzähltest, wie es Dir ergeht, ab und zu, wenn Du mit Leuten sprichst.

Du hast gesagt, daß Du um den Mund, das Kinn herum zuckst, und daß eine Traurigkeit da ist, als müßtest Du zu weinen anfangen.

Ich kann das verstehen, diesen Impuls, denn ich habe ihn auch bei mir gekannt, und kenne diese Traurigkeit - von daher kann ich auch nur etwas sagen, aber vielleicht meinen wir nicht beide dasselbe?

Ich meine, daß es mit etwas tiefem Unausgewogenem zusammenhängt - mit einer weit in einen hineinreichenden Erfahrung - die sich einem oft selbst entzieht - und nun trifft man auf etwas Oberflächliches, Leichteres, Freundlicheres - und da kommen die Unterschiede heraus, die Entfernung. Diese Oberflächliche Haltung möchte einen verführen. Und sie tut es ja auch. Sie zaubert eine Leichtigkeit vor, die aber ganz imaginär bleibt. Sie ist Täuschung.

Ich habe aber auch erfahren, daß in solchen Momenten es gut ist, sich des besprochenen Gegenstandes fester und härter zu versichern in seinem Gedächtnis in dem Augenblick, also an die Sache sich zu halten, um die es geht, und dann erfuhr ich, wie lächerlich die leichtere angenehmere Oberflächlichkeit ist - und auch wie dumm, auf wieviel hingenommenen Sachen sie beruht.

Ich habe auch die Erfahrung gemacht, daß man beim Sprechen an die eigenen Sachen stärker sich halten muß, die man selber will, und je mehr man das für sich tut (an Sachen, Themen, Einsichten, Problemen, Erfahrungen, freundliche und ernste, dringende, die einen selber angehen) und je mehr man sich für sich darauf in dem jeweiligen Moment konzentriert, desto stärker wird man selber, und die Stärke nimmt zu, je mehr man diese seine Sache auch vor dem anderen artikuliert.

Generell glaube ich nicht mehr an den Veränderungswunsch des Durchschnittsmenschen, er möchte sich nur zurücklehnen in einen Sessel und seine Meinung zu diesem und jenem und allem sagen, dabei Plätzchen in sich hineinstecken. Er möchte alle Vorurteile, alle halben Einsichten, alles nur Unterhaltung sagen und machen. Mir ist damit nicht gedient, und je mehr ich das erfahren habe, desto weniger bin ich interessiert.

Es gibt nur ganz selten Gelegenheit, bei einem anderen Menschen, den man getroffen hat, der die eigene tiefe Empfindung wert ist.

Es ist auch eigenartig, daß mir eine vergleichsweise ähnliche Stimmung und ein ähnlicher Zustand von Pieper erzählt worden ist, diese Traurigkeit, wenn er allein einen Spaziergang machte und vor einem grauen hohen einzelnen Baum stand, und dann seine Angst, wenn er einem normalen durchschnittlichen einzelnen Menschen in einer leeren Straße begegnete. Dieses Empfinden, als strömte dieser normale, oberflächliche Mensch, der da auf ihn zukam, eine Miesigkeit aus, die so sicher ist.

Und nun dazu eine Überlegung:denn alles, was ich an dieser eigene Empfindung als tief bezeichne, ist im Grunde und in Wahrheit eine so radikale Erfahrung und ein Leben in einer so radikalen Oberfläche, auf die es nämlich ankommt, während die anderen doch in trüben Tiefen sumpfen.

Nein, ich für meinen Teil, schaukele mich dann innerlich mit dieser Einsicht wieder ein, stelle mein Gleichgewicht her, indem ich einmal betrachte, was sie überhaupt als denkende Wesen von sich geben. - Die Freundlichkeit trügt. Sie legt herein. Und der Gewinn ist beim andern, der sich gemästet hat.

Aber vermag so eine Einsicht das Symptom zu beheben? -Nur Erfahren und Ausprobieren, und unter Erfahren und Ausprobieren verstehe ich:an sich selber mehr halten und sich, seine Gedanken, so stockend sie sein mögen, durchzuhalten - Geschicklichkeit ist „geschickt", von wem und was in dem Moment geschickt - wer macht diese Person geschickt? Was für ein Interesse, das in ihm spricht? -

„Verfeinerung, Abstieg, Trauer" lautet eine Erfahrungskette bei dem Schriftsteller Gottfried Benn, und jeder, der diese Verfeinerung erfahren hat, steigt ab, und er wird mit Trauer erfüllt. - Aber lohnt sich oft das, was der andere sagt, diese geheime Empfindung?Sie macht nur die Entfernung klar, die besteht, und diese Entfernung ist nüchtern und klar zu sehen. -Intimität, offen sein, ist etwas ganz anderes, sie passiert doch immer, wenn man die Tür hinter sich zugeschlossen hat und unter sich, mit sich, ist, bei sich.

Draußen hausen die Wahnsinnigen. Und jeder ist davon angesteckt.

Gut, dann ist eben das Zucken um Deine Mundwinkel da, und es ist sogar Deins, es gehört niemandem außer Dir selber, es ist Dein Zucken um die Mundwinkel. Und es liegt an Dir, nur Du vermagst es, das einem anderen zu enthüllen. Es ist dann Deine Wahl.   - (rom)

Mundwinkel Zucken

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