Morgen danach (2) MRS. CHERRY OWEN Weißt du noch, gestern abend?! Reingetorkelt kamst du, Junge, betrunken wie ein Abt, mit einem großen nassen Eimer und einen Fischkorb voll Schwarzbier. Und dann hast du mich angesehen und gesagt: „Der liebe Gott ist heimgekommen!" hast du gesagt. Und dann bist du — wupp — über den Eimer gefallen und hast dagelegen und geschrien, und der ganze Fußboden war voller Flaschen und Aale.
CHERRY OWEN
Hab ich mich verletzt?
MRS. CHERRY OWEN
Und dann hast du dir die Hosen ausgezogen, und dann hast du gefragt: „Will vielleicht jemand mit mir raufen?!" Ach, du alter Pavian!
CHERRY OWEN
Gib mir einen Kuß.
MRS. CHERRY OWEN
Und dann hast du gesungen Brot des Himmels, Tenor und Baß zugleich.
CHERRY OWEN
Ich singe immer Brot des Himmels.
MRS. CHERRY OWEN
Und dann bist du auf den Tisch gestiegen und hast ein wenig getanzt.
CHERRY OWEN
Wirklich?
MRS. CHERRY OWEN Geh zum Kuckuck!
CHERRY OWEN
Und was habe ich dann weiter getan?
MRS. CHERRY OWEN
Dann hast du geweint wie ein Säugling und hast gesagt, du bist ein armes betrunkenes Waisenkind und hast nirgendwo hinzugehen als nur ins Grab.
CHERRY OWEN
Und was habe ich dann weiter getan, mein Schatz?
MRS. CHERRY OWEN
Dann hast du nochmals auf dem Tisch getanzt und hast gesagt, du bist König Salomon Owen, und ich bin deine Mrs. Saba.
CHERRY OWEN (leise)
Und dann?
MRS. CHERRY OWEN
Dann kriegte ich dich endlich ins Bett und du hast die ganze Nacht lang geschnarcht wie eine Brauerei,
[Mrs. und Mr. Cherry Owen lachen.] - Dylan Thomas, Unter
dem Milchwald. Ein Spiel für Stimmen. Nachdichtung von Erich Fried. Heidelberg
1954
Morgen
danach (3) Am Tag nach dem Haschischgenuß aber,
dem schrecklichen nächsten Tag, sind alle Organe schlaff, müde. Die
Nerven sind abgespannt, man hat unsinnige Lust zu weinen. Es ist
unmöglich, sich einer zusammenhangenden Arbeit zu widmen. Und all das
lehrt einen auf grausame Art, daß man ein verbotenes Spiel gespielt hat.
Die häßliche Welt ist entblößt von der Illumination des vergangenen
Abends und sieht aus wie melancholische Überreste eines Festes.
Besonders der Wille, diese kostbarste Fähigkeit, ist angegriffen. Man sagt-und es ist beinah wahr-, Haschisch
verursache keinerlei körperliche Beschwerden, auf alle Fälle keine
schwere Krankheit. Allein - kann man behaupten, einem Menschen, der zu
jedem Werk unfähig ist und nur zu Träumereien neigt, gehe es, selbst
wenn alle seine Gliedmaßen sich in gutem Zustand befinden, wirklich gut?
Nun denn - wir kennen die menschliche Natur gut genug, um zu wissen,
daß ein Mensch, der sich mit einem Kaffeelöffel voll Konfitüre
unverzüglich alle Güter des Himmels und der Erde verschaffen kann, sich
niemals auch nur den tausendsten Teil dieser Güter durch Arbeit verschaffen wird. Kann man sich einen Staat vorstellen, in dem alle Bürger sich dem Haschischrausch
ergäben? Was für Bürger, was für Krieger, was für Gesetzgeber wären
das! Sogar im Orient, wo der Haschischverbrauch so verbreitet ist, gibt
es Regierungen, welche die Notwendigkeit der Ächtung begriffen haben.
Tatsächlich ist es dem Menschen unter Bestrafung von Entartung und
geistigem Tod verboten, die urtümlichen Gegebenheiten seines Daseins und
das Gleichgewicht zwischen seinen Fähigkeiten und der Umgebung, in der
er sie anwenden muß, zu stören, in einem Wort, sein Geschick zu
zerrütten und an seine Stelle ein neues Verhängnis zu setzen. Erinnern
wir uns an Melmoth. dieses bewundernswerte Sinnbild. Sein entsetzliches
Leiden hat seinen Grund in dem Mißverhältnis zwischen den wunderbaren
Fähigkeiten, die er durch einen Pakt mit dem Teufel plötzlich erworben
hat, und der Umgebung, in der er. als Geschöpf Gottes, zu leben
verurteilt ist. Denn keiner von denen, die er verfuhren will, ist damit
einverstanden, ihm seine schrecklichen Vorzüge zu denselben Bedingungen
abzukaufen. Tatsächlich verkauft jeder Mensch, der die Gegebenheiten des
Daseins nicht anerkennt, seine Seele. Es ist leicht, den Zusammenhang
zu sehen, der zwischen den von den Dichtern erfundenen Teufeln und den
lebendigen Wesen besteht, die sich den Reizmitteln verschrieben haben.
Der Mensch wollte ein Gott sein. Doch alsbald ist er kraft eines
unkontrollierbaren Sittengesetzes tiefer gefallen, als er es seiner
wirklichen Natur gemäß je war. Er ist nun eine Seele, die sich Stück für
Stück verkauft. - Charles Baudelaire,
Die künstlichen Paradiese. Zürich 2000 (zuerst ca. 1860)
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