Morellenviertel  Was aber ist mit dem Morellenviertel, fragte er sich? Hinter dem Palast, um dessen Pfeiler Lorbeer steht, brechen Gassen in die Tiefe, den Hang hinunter steht Haus bei Haus klein herab.

Einäugige lungern um Schnecken wagen. Sie legen Geld hin. Frauen kerben die Schale auf.-Ein Schnitt im Kreis und das Fleisch hängt rosa aus der Muschel. Sie tauchen es in eine Tasse mit Brühe und beißen. Die Frau hustet, und sie müssen weiter.

Wahrsager mit Hilfe von Ideenübertragung klingeln unaufhörlich schrill namentlich an Damen gewandt und haben Batterien.

Zigeunerinnen vor Karren, Rochen, flacher, violett und silbern, mit abgehackten Köpfen; welche zur Hälfte gespalten, eingekerbt und zum Trocknen gehangen; dazwischen krumme, dürre Fische, kupfern und schillernd. Es riecht nach Brand und alten Fetten. Unzählige Kinder verrichten ihre Notdurft, ihre Sprache ist fremd. Was ist es mit dem Morellenviertel, fragte sich Rönne. Ich muß es bestehen! Auf! Hinab! Ich schwor mir, nie will ich dieses Bild vergessen: des Sommers, der eine Mauer schlug; mit Büschen, flammend von Gefieder, mit Strauchgerten, beißend von dichten, blauen Fleischen, gegen eine Mauer, die nicht strömte, die feuchte, blaue Ranke!

Er jagte herunter. Um die hohe Gasse rann es zusammen: kleine Häuser, unterwühlt von langen schmalen Höhlen, die spien Gebein aus, Junges strotzend, Altes mürbe, hochgegürtet die Scham.

Was wurde verkauft: Holzpantoffeln für die Notdurft, grüne Klöße für das Ich, Ankerschnäpse für die Lust, Nötigstes des Leibes und der Seele, Salbenbüchsen und Madonnen.

Was ging vor sich: kleine Kinder vor Knieenden, dicht, eben ihrer Brust entsprungen; rauhe Stimmen, verkommen über verbranntes Gestein; tiefer als denkbar grub ein Herr in die Tasche; Schädel, eine Wüste, Leiber, eine Gosse, tretend Erde, kauend: Ich und du.  - Gottfried Benn, DDer Geburtstag. In: G. B., Prosa und Szenen. Ges. Werke Bd. 2. Wiesbaden 1962

Stadtviertel

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