ordverdächtiger Dr.
Valentine ist ein eigenartiger Mann. Seine Erscheinung ist recht auffällig
und sehr ausländisch. Er ist noch jung, aber trägt einen eckig geschnittenen
Bart; sein Gesicht ist sehr blaß, schrecklich blaß und schrecklich ernsthaft.
In seinen Augen schimmert ein Schmerz, als ob er Brillen tragen müsse oder
als ob er sich durch Denken Kopfschmerzen verschafft hätte; aber er sieht
sehr gut aus und ist immer sehr förmlich gekleidet, mit Zylinder und dunklem
Jackett und einer kleinen roten Rosette. Sein Benehmen ist ziemlich kühl
und hochmütig, und er hat eine Art, einen anzustarren, die einen ganz durcheinander
bringt. Als man ihn bezichtigte, seinen Namen geändert zu haben, starrte
er zunächst wie eine Sphinx und sagte dann mit einem kleinen Lachen, er
nehme an, daß Amerikaner keine Namen hätten, die sie ändern könnten. -
Gilbert Keith Chesterton, Father Browns Ungläubigkeit. Zürich 1991
Mordverdächtiger
(2) Traill ist mir als ein eigenartiger Mann aufgefallen.
In seinem feinen schwarzen Anzug sah er fast wie ein Stutzer aus, und doch
könnte man ihn nicht modebewußt nennen. Denn er trug ein Paar langer üppiger
schwarzer Koteletten, wie man sie seit den Zeiten der Viktorianer nicht
mehr gesehen hat. Er hatte ein vornehmes ernsthaftes Gesicht und vornehme
Manieren, aber ab und zu schien er sich daran zu erinnern, wie man lächelt.
Und wenn er seine weißen Zähne zeigte, schien er ein bißchen von seiner
Würde zu verlieren, und dann umgab ihn etwas fast Kriecherisches. Aber
das konnte auch nur Verlegenheit gewesen sein, denn er fummelte andauernd
an seiner Krawatte und der Krawattennadel herum, die zugleich schön und
ungewöhnlich waren, wie er selbst. -
Gilbert Keith Chesterton, Father Browns Ungläubigkeit. Zürich 1991
Mordverdächtiger
(3 ) Alle Achtung vor dem Leidenspark der Lach-Romane,
alle Achtung vor der Kraft zur Zuwendung. Aber selbst wenn er Hans Lach in ein
Literaturgespräch ziehen wolle - keine Reaktion. Das heißt: einen Zettel kriegt
man schon mal von ihm. Die Lippen wie zugenäht. Wie für immer. Offenbar habe
sich Lach angewöhnt, über jeden, dem er gegenübersitze, hinwegzuschauen. In
die Augen schauen geht nicht. Links oder rechts vorbei offenbar auch nicht.
Vor sich hin auch nicht. Also über den hinweg. In die Höhe. An die Wand. Gestern
habe Hans Lach ein Messer aus der Tasche gezogen, ein Klappmesser, Modell Schweizer
Armeemesser, habe es aufgeklappt, dann
ihn, Wedekind, angeschaut, wahrscheinlich um zu sehen, ob Wedekind Angst habe,
da das natürlich nicht der Fall gewesen sei, habe Lach das Messer wieder zugeklappt,
habe es auf den Tisch gelegt, dazu einen Zettel, auf dem stand: Mit diesem oder
einem Messer dieses Modells werde ich demnächst, wenn Sie mich weiterhin belästigen,
in Ihrem Gesicht Schaden anrichten. Hans Lach. Und in Klammern darunter, groß:
Unschuldiger. - Martin Walser, Tod eines Kritikers. Frankfurt am
Main 2002
Mordverdächtige (4) »Schließlich«, sagte er, »glaube ich, in Bild und Stimme eine Bedeutung erkannt zu haben; eine, die ich nie zuvor verstanden habe. Warum sollte es mich beunruhigen, daß ein Verrückter unter einer Million Gesunder, die m einer großen Gemeinschaft gegen ihn verbündet sind, sich rühmt, mich zu verfolgen oder mich in den Tod zu hetzen? Der Mann, der in der dunklen Katakombe das geheime Zeichen Christi zeichnete, wurde auf eine ganz andere Weise verfolgt. Er war der einsame Verrückte; die ganze gesunde Gesellschaft hatte sich zusammengeschlossen, nicht, um ihn zu retten, sondern um ihn zu ermorden. Ich habe manchmal herumgerätselt und gegrübelt und mich gefragt, ob dieser oder jener mein Verfolger sei; ob Tarrant; ob Leonard Smyth; ob irgend jemand von ihnen. Wenn sie es nun alle gewesen wären? Wenn es nun alle Menschen auf dem Schiff und im Zug und in dem Dorf gewesen wären. Wenn sie nun alle, was mich anging, Mörder gewesen wären. Ich gkubte, ich hätte ein Recht, besorgt zu sein, weil ich im Dunklen durch das Innere der Erde kroch und es da einen Mann gab, der mich vernichten wollte. Was wäre gewesen, wenn der Vernichter im Licht des Tages Herr der ganzen Erde und Befehlshaber aller Heere und aller Massen gewesen wäre? Was, wenn er imstande gewesen wäre, die Erde anzuhalten oder mich aus meinem Loch rauszuräuchern oder mich zu töten in dem Augenblick, in dem ich meine Nase ins Tageslicht hob? Wie wäre es, sich mit Mord in solchem Ausmaß befassen zu müssen? Die Welt hat derartige Dinge vergessen, wie sie bis vor kurzem Krieg vergessen hatte.«
»Ja«, sagte Father Brown, »aber der Krieg kam. Der Fisch mag wieder in den
Untergrund getrieben werden, aber er wird erneut ins Tageslicht auftauchen.
Wie der heilige Antonius von Padua humorvoll bemerkte: >Nur Fische überleben
die Sintflut! -
G. K. Chesterton, Der Fluch des Goldenen Kreuzes. In: G.K.C., Father Browns
Ungläubigkeit. Zürich 1991
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