ondkusine In einem Traum wurde der Mondkusine offenbart, daß sie Verwandte auf dem Mond habe. Sie hatte es schon geahnt, denn sie war noch nie in ein Land gekommen, ohne auf Leute zu stoßen, die ihr bekannt und vertraut erschienen. Freunde waren es nicht, sie hatte sie noch nie gesehen, auch verstand man nicht ihre Sprache. Es war eher etwas in der Erscheinung: die Neigung des Kopfs, die Rundung der Nägel, die erwartungsvolle Stellung der Füße. Man fühlte sich schon voneinander angezogen, bevor man diese Einzelheiten bemerkte. Auf dem bewegten Hauptplatz einer exotischen Stadt stand plötzlich ein Mensch vor einem, der sich von allen übrigen abhob. Er ging so sicher auf einen zu, als habe man sich gestern von ihm verabschiedet. Er faßte einen unverkennbar ins Auge, auch ihm war man unter allen aufgefallen; und obwohl manchmal Irrtümer vorkommen mögen, — es ist nicht wahrscheinlich, daß zwei wildfremde Menschen, die einander nie begegnet sind, sich zur selben Zeit auf dieselbe Weise irren. Auch läßt es sich sehr bald feststellen, daß keine Berechnung dahintersteckt, denn wenn der Plötzliche nichts von einem will und nur seinem reinen Staunen nachgibt, wenn man sieht, daß ihm genauso zumute ist wie einem selbst, muß es etwas zu bedeuten haben.

Die Mondkusine läßt niemand Plötzlichen los, ob Mann oder Frau, aber Frauen sind ihr lieber, da Mißverständnisse eher zu verhüten sind, die leicht zu Enttäuschungen führen. Man probiert ein wenig und gewöhnlich findet sich eine dritte Sprache, die der Verständigung dient, man setzt sich zusammen und tauscht Herkünfte aus und bald schrumpfen die scheinbaren Distanzen. Es ist viel gewandert worden auf dieser Welt und aus unzähligen Gründen haben Menschen ihr Land verlassen. Die Erde ist klein, das ist heute bekannt, Entfernungen haben wenig zu bedeuten. Schon ist man bei einem Namen angelangt, der beiden etwas sagt, und mit ein wenig Geduld und sehr viel Takt erweist sich, es ist kaum zu glauben, daß man zur selben Familie gehört und vielleicht gar von der Existenz des anderen eine Ahnung hatte. Wer Sinn dafür hat, wer Augen und Erinnerung offen hält, hat es nicht nötig, sich um Fremde zu bemühen, denn er hat überall Verwandte.

»Ich führe darüber Buch«, sagt die Mondkusine, »und reise aus keinem anderen Grunde. Ich bin noch in keinem Land gewesen, in dem ich nicht Verwandte gefunden hätte. Die Welt kann nicht so böse sein, wie man sagt. Warum suchen nicht alle nach ihren Familien? Statt in die Fremde zu reisen, um dort fremd zu sein, soll man reisen, um sich heimisch zu fühlen.«

Sie hat die Wahrheit ihrer Ahnung bewiesen und so fühlt sie sich wohl, wo immer sie ist, denn das Erste, was sie nach ihrer Ankunft irgendwo tut, ist: ihre Familie zu etablieren. Selbst in den kleinsten Ländern findet sie sich zurecht, und wenn es nicht mehr als zehn Menschen in einem Lande gäbe, mit einem von ihnen wäre sie totsicher verwandt.

Als die erste Mondfahrt vorbereitet wurde, war es ihre Sorge, eine Botschaft mitzusenden, die ihrer Kusine galt. Einen der Fahrer überzeugte sie davon, wie wichtig es wäre, diesen Kontakt zu nützen, und er versprach ihren Brief als erstes auf dem Mond zu deponieren. Man weiß noch nicht sicher, ob er ihre Kusine erreicht hat. Aber möglich ist alles, und sobald es sich herausstellt, daß ihr Gefühl sie wieder einmal nicht getrogen hat, wird ›Mondkusine‹, wie man sie jetzt spöttisch nennt, zu ihrem Ehrennamen werden. - (can)

Mondmensch Kusine
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