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(pli)
Mondkalb (2) Als er die Kirche betrat, die sonst zu dieser Stunde immer leer war, erhob sich hastig eine kniende Gestalt und kam auf das helle Tageslicht des Portals zu. Als der Kurat sie sah, blieb er erstaunt stehen. Denn der frühe Beter war kein anderer als der Dorftrottel, ein Neffe des Schmieds, der sich weder um die Kirche oder um sonst etwas kümmerte, noch das konnte. Man nannte ihn allgemein den ›Verrückten Joe‹, und er schien keinen anderen Namen zu haben; er war ein dunkler, starker, schlürfiger Bursche, mit einem schweren bleichen Gesicht, dunklem glattem Haar und einem immer offenen Mund. Als er an dem Priester vorbeikam, ließ sein mondkälbisches Aussehen keinen Hinweis darauf erkennen, was er getan oder gedacht hatte. Nie zuvor hatte ihn jemand beten gesehen. Welche Art von Gebeten mochte er nun gesprochen haben? Mit Sicherheit sehr ungewöhnliche.
Wilfred Bohun stand lange genug wie angewachsen da, um zu sehen, wie der
Blödsinnige in den Sonnenschein hinausging, wo ihn sein liederlicher Bruder
mit onkelhafter Scherzhaftigkeit grüßte. Als letztes sah er, wie der Oberst
Pennies nach dem offenen Munde Joes warf in der offenkundigen Absicht, hineinzutreffen.
- G.K. Chesterton, Der Hammer Gottes. In: Ders., Father Browns Einfalt.
Zürich 1991 (zuerst 1911)
Mondkalb (3) Das Meyrink ist das einzige
auf die Erde gefallene Mondkalb, das einzufangen gelang. Das Meyrink wird von
seinem Einfänger zeitweilig gezeigt. Schwangeren Frauen ist derzeit das Anschauen
des Meyrinks wieder erlaubt, nachdem es anfangs wegen einiger aus Schrecken
vorgekommener Frühgeburten verboten war. Inzwischen haben sich die Frauen in
jenen Umständen an den Anblick so gewöhnt, daß sie ihn schmunzelnd ertragen.
Österreichisch-ungarische Offiziere wie deutschnationale Abgeordnete wollten
die Schaustellung des Meyrinks verbieten, weil es sie mit seinem einen großen
Auge verzerrt, wie sie sagten, spiegele. Der Besitzer wies aber nach, daß die
Spiegelung gar nicht verzerrt war, sondern daß das Objekt des Meyrinks Auge
verzerrte. Der Besuch des Meyrinks hat nachgelassen, seitdem man viele Mondkälber
frey herumlaufen sieht, von denen man nicht sicher sagen kann, ob sie vom Monde,
wohl aber, daß sie auf den Kopf gefallen sind. - (bl)
Mondkalb (4)
Mondkalb (5)