Mond, abnehmender   Überaus beklagenswert erscheint es uns, daß auch hier, wie ja zumeist in unaufgeklärten Fällen, die Natter des Aberglaubens ihr widerwärtiges Haupt zischend erhebt! Nicht nur die Straßenjugend, die sich ja leider bis in die Nacht hinein allerorten herumtreibt, sondern auch ehrenwerte Leute, denen man dergleichen nicht zugetraut hätte, behaupten, auf der Brandstätte und immer zur Zeit des abnehmenden Mondes ganz bestimmt beschriebene Gestalten umherspuken gesehen zu haben. Daß es sich dabei natürlich nur, wenn überhaupt nicht Sinnestäuschungen vorliegen, um Neckereien übermütiger Faschingsmaskierter handeln kann, die den Ernst der Zeit nun einmal nicht begreifen oder begreifen wollen, das geht natürlich diesen en nicht in den Kopf. Mari berichtet uns Tag für Tag von der gespenstischen Erscheinung einer schlanken Dame (Sittenpolizei!?) in schwarzsilbernem Gewande, die öfters rasch und wie suchend gewisse Teile des Brandplatzes durchirre. Ein übrigens der christlich-sozialen Partei angehöriger und darum gewiß über den Verdacht der Phantasterei völlig erhabener Hausbesitzer aus der Nachbarschaft, der gerade dieser Erscheinung seine besondere Aufmerksamkeit widmete und ihr öfters nachging, um sie auf die Unschicklichkeit, zu nächtlicher Stunde in so eng anliegender, der Stunde keineswegs angepaßter Kleidung umherzugehen, aufmerksam zu machen, — behauptet, so oft sie verschwunden sei, soll kurz nachher an ihrer Stelle eine splitternackte Frau aufgetaucht sein, die ihn habe umgarnen wollen. Nun, die berufenen Organe des neuen Sittenschutzbundes werden ja Gelegenheit haben, alsbald ihres Amtes zu walten! — Andere Beobachter wissen wieder von einem greulichen Kerl zu berichten, mit einem rohen Lederkoller angetan und von struppigem, feuerrotem Bart umwallt, der mit entsetzlichen Flüchen und Grimassen in der schwarzgebrannten Erde nach irgendwelchen Dingen sucht und wühlt. Schließlich — die einmal wild gewordene Phantasie derer, die nie alle werden, kennt bekanntlich keine Grenzen — soll er zuletzt immer vor das schamlos entblößte Frauenzimmer (Sittenpolizei!!!) hintreten und mit jämmerlichem Getue das Vergebliche seines Bemühens vor ihr darlegen. Begäbe sich das alles nicht zur nachtschlafenden Zeit, man wäre versucht, an eine heimliche Filmaufnahme für Wüstlinge zu glauben! (Die Redaktion.) Ferner will eine alte Frau kürzlich einen älteren Herrn mit rotem Halstuch gesehen haben, der sie angrinste und ihr fraglos einen unmoralischen Antrag machte mit den Worten, er interessiere sich lebhaft für Antiquitäten.  - Gustav Meyrink Der Engel vom westlichen Fenster München 1984 (zuerst 1927)

Mondphase


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