örder,
gereifter Seit Meryls Tod fand eine tiefgreifende Umwandlung
in mir statt. Nach den ersten Stunden, in denen ich nur um meine Sicherheit
gebangt hatte, war ich jetzt in einer anderen Verfassung — eine Art resignierter
Niedergeschlagenheit und Traurigkeit, bei der ich
die Dinge aber ganz klar sah. Ich fing an. mir ein objektives Bild
von mir selbst zu machen und mich zu beurteilen, Dabei ging ich zwar nicht
soweit, nach den Ursachen für meine Gewalttätigkeit und meine ßesitzgier zu
suchen — die hatte ich wirklich erfolgreich ins Unterbewußtsein verdrängt. Ich
entfernte mich ganz einfach von mir selbst, wenn man so sagen kann. Und wenn
die Polizei jetzt gekommen wäre, dann hätte ich alles mit düsterer Freude eingestanden.
Gleichzeitig merkte ich, daß ich Mathilde auf eine ganz neue Art zu lieben anfing.
Im tiefsten Innern wußte ich bereits, daß sie für mich verloren war, daß sie
eines Tages weggehen würde, und ich bereitete mich mit unendlicher Behutsamkeit
auf diese Trennung vor. Mathilde wurde in meinen Augen so was wie ein kleines
verwundetes Tier, das man gepflegt und liebgewonnen hat, und dem man eines Tages
unweigerlich die Freiheit zurückgeben muß. Aber bis es soweit ist, schenkt man
ihm seine Zuneigung — uneigennützig und rein . . . Und Reinheit,
das brauchte ich so dringend! Nie mehr würde ich eine Tat begehen, die mir sowenig
ähnlich sah wie die Mordtat — ich sah immer noch den gelben Sonnenschirm und
den Vogel vor mir auf dem Rasen. Meryl war jetzt für mich viel eher eine Art
Freund, ein Gefährte im Unglück, den ich unwillkürlich immer öfter zum Zeugen
anrief, als ob er und ich von einem imaginären Aussichtsturm zugeschaut hatten,
wie da unten mein Leben vorüberzog. Ich war gealtert; vielleicht auch gereift.
Oder ich war krank. - Boileau / Narcejac, Die trauernden Witwer.
Reinbek bei Hamburg 1970
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