Mob   Das Zirpen der Grillen ringsum schwoll plötzlich zu wütender Heftigkeit an, als ginge eine Welle des Schreckens durch den Park. Fast im selben Augenblick lief ein kleiner Junge von acht oder neun Jahren, erregt durch das allgemeine Geschrei, auf Anna zu und hob sein Holzboot. Vor ihr angelangt, schleuderte er das Spielzeug ohne ein Wort gegen sie. Der mit einem Blechstreifen verstärkte Kiel traf Anna hart am Schienbein. Viel kann in einer Minute geschehen, viel kann auch in zwei Minuten geschehen. Viel vermögen die Menschen in dieser kleinen Zeitspanne zu tun — auch wenn es heiß ist und die Dünste aus den faulenden Reisfeldern ihnen das Leben sauer machen. Anna wollte schreien, doch ihrer Kehle entrang sich nur ein tonloses, pfeifendes Geräusch. Blitzschnell packte sie in ihrer Wut den Jungen und warf ihn der Länge nach in den Brunnen. Einen Augenblick lang verschwand sein Kopf im Wasser.

Ein tierisches, schrecklich anzuhörendes Geschrei ertönte: »Sie bringt mein Kind um! Sie bringt mein Kind um! Zu Hilfe! Zu Hilfe!«

Niemand spürte mehr die Hitze. Diese Gelegenheit war herrlich: Nichts hinderte jetzt die Menschen, endlich einmal die ganze schmutzige Bosheit, die sie jahrelang in ihren Seelen mit sich herumgetragen hatten, ohne es selber zu wissen, von sich zu geben. Die Weiber gerieten in einen rasenden Taumel. Die Person mit dem Fuchsgesicht begann zu hüpfen und sich im Kreis zu drehen, während sie immer wieder das sinnlose Wort: »Henker!« brüllte.

Zwanzig Meter abseits litt Antonio noch immer unter den Nachwirkungen des Schmerzes, der nicht völlig verschwinden wollte. Er sah die Szene am Brunnen, doch er begriff nicht, was da los war. Das einzige, was wirklich in sein Bewußtsein drang, war der sonderbare Umstand, daß die Leute jetzt nicht mehr so redeten wie zuvor. Bisher hatten sie doch den Dialekt der Stadt gesprochen, den er unschwer verstand. Plötzlich aber kamen aus allen diesen Mündern, die wie angeschwollen aussahen, andere, rauhe, ungeformte Laute. So als hallte von den fernen Tümpeln ein böses, düsteres Echo herüber. War die ruchlose, mit Verbrechen beladene Stimme uralter Abgründe plötzlich wieder wach geworden? Jetzt wußte Antonio: Er befand sich unter Fremden, in einem fremden, von Haß übervollen Land.   - Dino Buzzati, Die Maschine des Aldo Christofari. Frankfurt am Main 1985

 

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