ittagspause  Nach dem Mittagessen hatte Meyer eine heftige Diskussion mit seiner Frau, die wie immer endete: Annie versuchte ihn zu erwürgen.

«Hör auf, Herrgott noch mal!» schrie er, doch sie war schon im Begriff, ihm den Kehlkopf zu zerquetschen. Daher tastete seine Hand auf dem Tisch herum, der in Reichweite stand. Es gelang ihm, die dreiviertel volle Evian-Flasche aus Glas zu packen und der jungen Frau einen leichten Schlag auf den Kopf zu versetzen, nur so als Warnung. Annie war mitten in einem Anfall. Sie reagierte nicht. Sie grub vielmehr ihre Nägel in Meyers Hals. Dieser seufzte verzweifelt und schlug zu. Beim dritten Schlag ließ Annie von ihm ab, legte die Hände um ihren Kopf und wälzte sich schließlich kreischend auf dem Fußboden.

«Na, komm schon, Schätzchen», sagte Meyer. «Na komm.»

Annie schrie jedoch weiter, er hielt sich die Ohren zu.

«Scheiße!» brüllte Meyer.

Er lief ins Bad und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Als er den Kopf wieder hob, sah er in dem kleinen Spiegel, daß Annie ihm auf beiden Seiten des Halses tiefe Kratzer beigebracht hatte. Es blutete. Er tat etwas Alkohol auf die Wunden, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Doch es blutete weiter. Rasch zog er sein weißes Hemd aus, aber zu spät, der Kragen hatte schon Flecken. Wieder betrachtete er sich im Spiegel. Er sah einen Typ von dreiundzwanzig Jahren, blond und schlaff, mit kleinen Augen in der Farbe toter Austern. Er hatte eine Gänsehaut. Er puderte sich den Hals mit Talkum ein, um das Blut damit aufzusaugen. Aus dem angrenzenden Zimmer horte er, wie Annie mit dem Schädel gegen die Wand schlug. Er ging zu ihr zuruck.

«Komm schon, mein Schatz, hör doch auf, ich liebe dich.»

«Du kannst krepieren, du Saukerl», entgegnete ihm Annie. «Dreckiger Jude», fügte sie noch hinzu. «Ich verabscheue dich. Ich werd nach Belleville gehen und mich von Afrikanern ficken lassen. Ich werd mich durchbumsen lassen», beharrte sie ziemlich grob.

Sie rieb sich den Kopf und begann vor Schmerzen zu weinen. Ihr Haar war schön und fein. Meyer hatte Lust, sich zu erschießen oder einfach nur zur Arbeit zu gehen, schwer zu sagen.  - Jean-Patrick Manchette, Nada. München 2006 (zuerst 1972)

Mittagspause (2) Wen das Revolutionstribunal am Vormittag verurteilt, der wird noch am gleichen Nachmittag zum Tode geführt. Er hat nicht lange zu warten. Schlimmer ist es für den, der nach der Mittagspause verurteilt wird. Er darf erst am nächsten Tag sterben. - Friedrich Sieburg, Robespierre. München 1965 (zuerst 1935)
 
 

Mittag Tischzeit

 

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