itnehmen
Wenn man für immer fortgeht, muß man sehr sorgfältig bedenken, was
man mitnimmt. Scheinbar Nutzloses kann unter gewissen Umständen wesentlich werden.
Ich beschloß zu packen, als reiste ich nach Lappland. Da gab es: einen Schraubenzieher,
Hammer, Nägel, Vogelsamen, eine Menge Seile, die ich selbst gewebt hatte, ein
paar Lederstreifen, Teile eines Weckers, Nadeln und Faden, eine Tüte Zucker,
Streichhölzer, farbige Perlen, Seemuscheln usw. Zuletzt legte ich ein paar Kleider
hinein, damit die Sachen im Koffer nicht durcheinanderrüttelten. -
(
hoer
)
Mitnehmen (2) Sie rissen den vornehmen Passagieren die kostbaren Kleider vom Leibe, erschlugen die Männer, die noch Widerstand wagten, und bedienten sich der Frauen, ob jung, ob alt. Besonders eine betagte Verwandte des Königs hatte viel zu leiden, und auch eine Gruppe türkischer Mädchen, die als Sklavinnen für Kaschmir gekauft und vom indischen Kapitän — er hieß Ibrahim — gezwungen worden waren, in Turban und Hosen gegen die „Christenhunde" mitzukämpfen.
Ein Besatzungsmitglied Everys bekannte später: „Wir folterten eine Menge Juwelen heraus, darunter einen Sattel und Zaumzeug voll mit Rubinen besetzt, ein Geschenk des türkischen Sultans für den Großmogul. Und überall lagen unsere Leute mit den Weibern an Deck herum, von denen einige, den Prezionen und dem Benehmen nach, von anderer Klasse waren als der Rest . . ."
Die Seeräuber verließen das stolze zerschossene Schiff unter Mitnahme
der Beute und der meisten und ihrer Ansicht nach schönsten der Mädchen
und Frauen. Doch warfen sich mehrere der Opfer in die See oder erstachen
sich mit den Dolchen ihrer Überwinder. -
(bord)
Mitnehmen (3)
Mitnehmen (3) Eines Sonntags liegt Madame Pô im Sterben. Die Herrin der Toten, die Bacchantin des Todes, sie, deren Gedanken immer nur dem Tod der andern galten, hatte sie ihren eigenen vorausgesehen? Sie wollte nicht auf dem Schaualtar ihres Alkovens mit seinem prunkvollen Schnitzwerk sterben, welches das Bett ihrer Hochzeit trägt. So hat sie ihre Töchter gebeten, ihr in der Mitte ihres riesigen Zimmers, um dort wie auf dem Marktplatz den letzten Seufzer zu verhauchen, ein kleines eisernes Behelfsbett aufzuschlagen, sehr unansehnlich, ganz verrostet, so schmal wie ein Kreuz und kürzer als sie selbst, über dessen Fußende man einen roten Schal geworfen hat, der zur Erde herabhängt.
Bei der geringsten Bewegung der alten Frau kreischt und schwankt dieser Gitterkasten, der an dem Kruzifix aus Porzellan vor Anker liegt; dieses reckt sich vor dem breiten Fenster mit seinen grünen, gelben und grauen Scheiben aus gewöhnlichem Glas, die nur ein trübes Licht hereinlassen.
Die Augen der Sterbenden sind das einzige Himmelblau in diesem Raum und, ob auch verhangen, der einzige Schimmer in dem kantigen und scharfen Gesicht, das sich bleiern verfärbt hat. Madame Po fährt mit ihren Händen, die von silbernen und goldenen Ringen strotzen, über das allzu weiße Laken; man ahnt, daß sie sich nicht an dieses übertriebene Weiß gewöhnen kann, das auf die Besucher berechnet ist.
Denise, ihre älteste Tochter, geht in einer wollenen Dalmatika auf und ab, die zu dem Schal paßt, der das Fußende des Bettes bedeckt.
Die ganze Nacht hat Madame Pô irre geredet: als zähle sie lauter Töpfe, die sie auf eingebildeten Borden stapelte, und lauter Groschen, die sie in Wolkenschubfächer häufte. Immer wieder stürzte das Geschirr herab und zerbrach. Das Geld rollte bis zum Nachbarn davon, und verzweifelt hasteten die beiden armen schon gestorbenen Hände um die Wette hinterdrein.
Es waren nun bald siebzig Jahre, daß Madame Pô auf Erden weilte; und seit fünfzig Jahren war kein Samstag vergangen, den sie nicht unentwegt im Schmutz ihres Ladens verbracht hätte; und so tat sie denn auch, am Fuß des Kruzifixes, über die Eitelkeit alles Irdischen einen Ausspruch, der ihrer wohl würdig war:
«Den ganzen Vormittag konnte ich nicht glauben, daß heut Sonntag sei, trotz der Glocken, die immer wieder zur Messe läuteten. Wie? Gestern war der Samstagsmarkt, und ich saß nicht vor meiner Ladentür, auf meinem Pökelfaß-für-das-Schweinerne und überwachte meine Töchter beim Verkaufen? Und der Tag ist doch dahingegangen? Nun, so weiß ich, daß es vorbei ist, daß es mich erwischt hat, wenn ein Samstag kommen konnte, an dem ich das Bett hüten mußte.»
Eine tiefe Schwermut bemächtigte sich ihrer, umhüllte alles ringsum und brandete über die Füße des Christus, in dem der letzte Liebesblick der Greisin sich lange spiegelte.
Einen Augenblick fühlte sie sich wohler und dachte, schweigend, aber triumphierend,
daß man dennoch alles mitnimmt, wenn man davongeht. Wie viele hilflose Dinge
würden verlorengehen, wenn keiner mehr dafür sorgte, daß da ein Licht vor ihnen
brannte, wie viele Menschen würden sich nicht mehr zurechtfinden auf Erden,
weil sie nicht mehr an ihrem alten Platz saß! Der Himmel wäre einer seiner Färbungen
beraubt, der seltensten, zartesten; die Sonne ihres brennendsten Widerscheins;
Luft und Wetter schmeckten fremder; Chaminadour wäre nicht mehr Chaminadour,
Gott nicht mehr Gott auf Erden ohne sein Orakel, ohne das Mysterium, das ihr
anvertraut war, das sie erschaffen hatte, über welches sie herrschte, seit es
sie gab, und das sie heut abend mit in die Ewigkeit nahm. - Marcel Jouhandeau, Madame
Pô stirbt. In: M. J., Chaminadour. Reinbek bei Hamburg 1964
Mitnehmen
(4) Da gibt es den Fall eines alten Kommunistenführers,
der immer sehr skeptisch war, selbst als er eine leitende Position innehatte.
Er hieß Rancano und hatte es im Bürgerkrieg bis zum Generaldirektor von irgend
etwas gebracht. Jedenfalls mußte er bei einer seiner Reisen ins oder Rückreisen
aus dem Exil inmitten von Tausenden von Büchern und vielen Kindern in Peking
die Wahl treffen, ob er seine Bücher
oder seine Kinder mitnehmen wollte. Und er entschied
sich für die Bücher. Bücher oder Hunde darf man nicht im Stich lassen, Kinder
schon. Irgend jemand wird sich schon ihrer annehmen, außerdem können Kinder
sprechen. Und wie! -
Manuel Vázquez Montalbán, Wenn Tote baden. München 2003
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