Mithören  »Lieber Himmel, immer noch Sie, haben Sie denn noch nicht genug geredet, ich warte auf eine Verbindung von außerhalb und solange Sie quasseln...« - »So, da haben Sie also die ganze Zeit dabeigesessen und gehört, was wir redeten. Wenn das nicht indiskret ist...« - »Nun machen Sie aber schon den Mund zu, Sie Schnatterente.«

Das war ein starkes Stück, einen Moment lang war Ruhe, denn Franchina fand nicht sofort eine würdige Antwort, dann lachte sie schrill: »Hört sie, die alte... Schnatterente.« Allgemeines Gelächter setzte ein, ich schätzte die unsichtbaren Zuhörer auf mindestens zwölf. Dann wurde es still. Ob sich wohl alle zurückgezogen hatten oder nur daraufwarteten, daß wieder einer die Initiative ergriff? Wenn man recht hinhorchte, meinte man verhaltenes Atmen zu spüren.

Endlich begann Clara wieder mit ihrer feierlichen Stimme: »Sind wir nun endlich allein, Franchina? Was soll ich nur morgen anziehen?«

Da hörte man plötzlich eine klare, jugendlich offene Männerstimme, die durch eine außergewöhnliche heitere Liebenswürdigkeit gefangennahm.

»Clara, wenn Sie erlauben, sage ich Ihnen, was Sie morgen anziehen sollen: den blauen Rock vom vorigen Jahr, den lila Pullover,

den Sie gerade von der Reinigung zurückbekommen haben und die kleine schwarze Cloche. Finden Sie nicht, daß das gut zusammenpaßt?«

»Aber wer sind Sie denn?« Claras Stimme klang nun plötzlich ganz anders, etwas wie eine geheime Angst schwang mit. »Wollen Sie mir nicht sagen, wer Sie sind?«

Die andere Stimme schwieg.

Nun hörte man Franchina wieder: »Clara, Clara, wie konnte der Mensch denn eigentlich wissen, daß...«

Da sagte die Stimme auf einmal sehr ernsthaft: »Ich weiß viele Dinge...«

»Das kann jeder sagen. Sie werden eben gerade einmal richtig getippt haben!«

»Glauben Sie wirklich? Soll ich noch anderes zu raten versuchen?«

Claras Stimme kam etwas zögernd: »Bitte, bitte...«

»Nun gut, hören Sie zu, Fräulein Clara: Sie haben da ein kleines Muttermal, nur ein ganz kleines...«

Claras Stimme wurde nun ganz energisch: »Sie können es einfach nicht wissen, wo...«

»Aber es stimmt doch?«

»Sie können es nicht wissen, niemand hat es gesehen, außer meiner Mutter...«

»Also sehen Sie, daß ich recht hatte?«

Clara schien den Tränen nahe zu sein: »Niemand hat es je gesehen, das sind häßliche Spaße.«

Darauf hörte man wieder die ruhige und angenehme Stimme: »Aber ich habe ja gar nicht gesagt, daß ich Ihr kleines Muttermal gesehen habe, ich habe nur gesagt, daß Sie eines haben!«

Nun mischte sich eine andere Männerstimme ein: »Hör schon auf, du Schwätzer!«

Aber sofort wies ihn die angenehme Stimme zurück. »Langsam, langsam, Herr Marcozzi. Sie sind zweiunddreißig Jahre alt, einen Meter und siebzig groß, verheiratet. Seit zwei Tagen sind Sie stark erkältet und rauchen trotzdem eben in diesem Augenblick eine Zigarette ›Nazionale‹. Reicht Ihnen das, es stimmt doch?«

Darauf ganz schüchtern die Antwort Marcozzis: »Wer sind Sie denn, woher wissen Sie? Ich... ich...«

»Nehmen Sie es nicht schwer«, sagte wieder der andere, »wir wollen doch lieber etwas vergnügt sein. Es kommt selten vor, daß man sich in einer so angenehmen Gesellschaft befindet.«

Niemand wagte natürlich mehr, sich über ihn lustig zu machen oder ihm zu widersprechen. Eine unerklärliche Angst, die Furcht vor etwas Unbekanntem, war über die Drähte des Telefons zu uns gekommen. Wem gehörte die fremde Stimme?  - Dino Buzzati, Die Maschine des Aldo Christofari. Frankfurt am Main 1985

 

Telefon Horchen

 

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