ißklang   Abends Staatsbankett der preußischen Regierung im Schloß. Der Eindruck auf mich schauerlich. Wo früher ein farbenprächtiges Bild, schöne oder in ihrer Aufmachung schön erscheinende Menschen die Säle festlich füllten, eine einförmige, formlose graue Masse, wie Läuse, die sich wie ein trüber Alltag durch die alte Barockpracht hindurchschoben. Die englische Botschafterin Lady Rumbold, die ich durch einige Säle begleitete, bis Weismann sie an einen Tisch heranholte, sagte (und ich empfand genau wie sie): »I feel like a ghost.« Meier-Graefe meinte in seiner schnodderigen Art: »Na, früher waren die Köpfe doch besser, was?« Es war, als ob sich in einem üppigen Hoftheater eine Schmiere etabliert hätte.

Wir haben, und das ist fast ein Wunder, in den zwölf Jahren seit der Revolution eine neue Schönheit geschaffen, die mit der Arbeitsdemokratie in Einklang steht, ja sogar schönere Menschen, feinere, schlankere, strahlendere hervorgebracht, die heutige Jugend ist, namentlich nackt, schöner als die Vorkriegsjugend. Man soll aber diese neue Welt nicht in Kontakt mit der alten Barockwelt bringen, dann beißt sich alles, und der Mißklang, der entsteht, ist unerträglich. Nie ist es mir so sinnenfallig geworden, daß die frühere Epoche abgeschlossen und unmöglich geworden ist, die Revolution nicht nur äußerlich gewesen ist, sondern wirklich das Fazit aus einer epochalen Umwälzung, aus einer unwiderruflichen Umwälzung der grundlegenden Lebensbedingungen gezogen hat. Das Politische daran ist nur Oberflache, die wirkliche Umwälzung geht weit tiefer Wenn man genauer zusieht, ist das ›Schmieren‹hafte das Dekor, die verlogene wilhelminische Pracht des Weißen Saals, das Echte, ganz Untheatralische die graue, befrackte, völlig unromantische Masse.

Die Barockwelt hat sich ihren Hintergrund geschaffen, vor dem sie sich bewegen konnte, wir sind dabei, uns unseren Hintergrund in Architektur, Gartenkunst, Malerei, Plastik zu schaffen, unsere Welt wird wahrscheinlich nicht weniger schön sein als die barocke, wenn sie erst einmal ausgereift ist. Man kann aber nicht unsere Welt vor den Barockhintergrund stellen, ohne jedes ästhetische Gefühl zu verletzen. - Harry Graf Kessler, Tagebücher 1918 - 1937 (Berlin. 2. Oktober 1930). Frankfurt am Main 1982 (it 659)

 

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