ißerfolgreiche
Er müsse mich warnen, Mißerfolg sei eine Krankheit, die den davon
Befallenen sozial unverträglich mache. Der Mißerfolg-reiche, wenn ich ihm diese
Prägung gestatte, sei für seine Umgebung peinlicher als für sich selber. Dem
Mißerfolgreichen ist sein Mißerfolg ein ungeheures Vergrößerungsglas, mit dem
er die ganze Welt sieht. So genau, wie sie kein Erfolgreicher je sehen kann.
Das sei ja eine der Bedingungen des Erfolgs, und zwar in jedem Beruf: diese
Unfähigkeit, die Welt wahrzunehmen, wie sie wirklich ist. Der Erfolgreiche verklärt
von Anfang an. Und selbst wenn er gegen etwas oder gegen jemanden ist, er ist
es auf eine verklärende Weise. Er bleibt immer übrig als prima, die Welt kann
froh sein, daß es ihn gibt. Und die Welt ist gut, weil es einen wie ihn gibt.
Und sie ist gut, weil einer wie er in ihr Erfolg hat. Also die fundamentale
Mißglücktheit der Welt, wie sie ist, kommt nicht vor bei ihm. Das macht ihn
erfolgreich. Was nicht so ist, wie es sein soll - und das kann viel sein -,
wird von ihm radikal gerügt, verdammt. Er ist gekommen, damit die Welt besser
werde. Er ist der radikalste Kritiker des Zustands der Welt, aber durch seine
Seinsstimmung wird erlebbar: die Welt ist zu retten. Eben durch ihn. Und dafür
ist die Welt ihm dankbar. Und wenn man das nicht bringt, diese Verbesserbarkeit
der Welt, wenn man findet, die Welt sei ein ewiges System zur Vereitelung des
Lebens, dann ist man der Mißerfolgreiche, geht den Leuten auf die Nerven, sich
selber aber nicht. Zum Glück. Die Befriedigung des Mißerfolgreichen ist tatsächlich,
daß er die Welt, der er auf die Nerven geht, absolut kennenlernt. Und dadurch
wächst in ihm ein Kenntnisreichtum, in dem sich leben läßt wie in einem farbensatten,
klangüberströmten Paradies. Daß die Bedingung jeder Einsicht der Mißerfolg ist,
macht den Mißerfolg, wie Sie sich denken können, zum höchsten Gut überhaupt.
- Martin Walser, Tod eines Kritikers. Frankfurt am Main 2002
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