isoneismus  Brock sah die Gesichter eines nach dem anderen an und registrierte gewisse Merkmale: ein Panoptikum von fliehenden Stirnen, theromorphen Ohren und beunruhigend abfallenden Augen-Ohren-Linien. Er war ein Verfechter der Theorien des Kriminologie-Pioniers Cesare Lombroso (1836-1909), der glaubte, bei Kriminellen seien jene Hirnlappen, welche der Sitz gesellschaftlicher Werte wie Moral und Gesetzesfürchtigkeit seien, unterentwickelt, wodurch diese Organe insgesamt eher tierischen als menschlichen Hirnen ähnelten. Durch diese Abweichungen sei der Schädelknochen nicht normal ausgeformt, und das zeige sich unter anderem in der Physiognomie des Betreffenden. Abnorm vergrößerte Augenhöhlen, vorstehender Oberkiefer, frontale Submikrozephalie, Darwinsches Spitzohr - Lombroso hatte alles aufgeführt und genug Schädel vermessen, um seine Theorie zu untermauern. Als Brock auf sie stieß, war sie bloß noch eine verstaubte, eindeutig rassistische Kuriosität aus dem neunzehnten Jahrhundert, methodisch ungenau und längst überholt, und doch fand er sie ganz einleuchtend. Was ihn aber wirklich faszinierte, war Lombrosos Konzept des «Misoneismus». Radikale, Militante, Revolutionäre verstießen allesamt, ganz gleich, was für einen Anstrich sie sich gaben, gegen dieses tief verwurzelte, organische menschliche Prinzip, das Lombroso mit dem griechischen Wort für «Abneigung gegen alles Neue» bezeichnet hatte. Es war ein Rückkopplungsmechanismus, der dafür sorgte, daß eine Gesellschaft sich als Ganzes und in einem sicheren Tempo weiterentwickelte. Jeder unvermittelte Versuch, die Dinge zu verändern, wurde sogleich mit einem misoneistischen Gegenschlag beantwortet, und zwar nicht nur vom Staat, sondern vom Volk selbst - Nixons Wahl im Jahr 1968 war für Brock Vond ein schlagendes Beispiel hierfür.

Lombroso hatte alle Revolutionäre in fünf Gruppen unterteilt: Genies, Begeisterte, Narren, Lumpen und Mitläufer, und damit war nach Vonds Erfahrungen so ziemlich alles abgedeckt.    - Thomas Pynchon, Vineland. Reinbek bei Hamburg 2015