Minuten, letzte  Zil'berberg wurde zusammen mit Suljatickij vom Petersburger Kriegsgericht abgeurteilt. Er wurde mit Suljatickij zusammen am 16. Juli 1907 in der Peter-Pauls-Festung unter dem Namen Vladirnir Stiftar' gehängt.

Und so beschreibt ein Augenzeuge die letzten Minuten von Suljatickij und Zil'berberg:

»Ihr Mut und ihre Ruhe vor dem Tode mußte diejenigen, die am Leben blieben, die zufälligen Zeugen, beeindrucken: als einer von ihnen wie ein Kind weinte, tröstete ihn der zum Tode Verurteilte. Er sah seinen Tod wie die Erfüllung einer Pflicht. ›Ich sterbe mit dem klaren Bewußtsein, daß ich sterben muß. In der Vergangenheit habe ich viel Schönes, habe ich Glück und Wunderbares erlebt!‹ Mit Begeisterung sprach er von der Vergangenheit, gedachte der ruhmvoll umgekommenen Freunde. ›Wir alle sterben nach dem gleichen Maß!‹ Kein Wort von der Zukunft, er bedauerte nichts, was ihm die Zukunft hätte Gutes bringen können. Wenn man das sorglose Lachen, die Scherze und witzigen Bemerkungen unserer zum Tode verurteilten Freunde hörte, so kam man sich geradezu wie ein Verbrecher vor, weil man ihren unausweichlichen und von den Henkern vorbereiteten Tod vergessen konnte. Mit kindlicher Freude erzählte er von einem Kutscher, mit dem er in der Herberge gewohnt hatte (er spielte damals die Rolle eines Kutschers, kannte sich aber in Piter nicht aus, weshalb er die Fahrgäste oft nicht dorthin brachte, wohin sie wollten und manches Mal von ihnen geschimpft wurde). ›Da seh' ich dich so aus der Ferne,‹ sagte der Kutscher, ›grad als seist du ein Herr, und jetzt, wo ich mit dir spreche und dir in die Augen sehe, da bist du doch einer von uns!‹ Ihn freute die Aufrichtigkeit, mit der der Bauer in ihm den Freund, den Bruder erkannt hatte. Doch wenn er an seine Frau, an seine Mutter dachte, verdunkelten manchmal Tränen seine Augen. Er ging beiseite, eine Minute lastenden Schweigens. Dann war er seiner inneren Erregung Herr geworden, hatte wieder das ruhige klare Gesicht. Die Fragen waren alle gestellt, Zweifel und Bedauern gab es nicht, nicht einmal darüber, daß ihn der Tod erwartete... Nur ein Gedanke zermarterte ihm das Hirn — wie er die Berührung seines Körpers durch den Henker ertragen würde! Auch die arme Mutter dachte voller Qualen daran. Er dachte an seinen treuen Freund, der von eigener Hand gestorben war, als er den Feind niedergeschlagen hatte, weil er die Berührung, die Gewalt eines anderen über seinen Körper, nicht ertragen wollte. Jetzt war ihm die Entschlossenheit, mit der sich der Genösse selbst getötet hatte, verständlich. Stattdessen mußte er jetzt mit seinen seelischen Kräften haushalten. Er schlief tags und wachte nachts, um nicht vom Feind überrascht zu werden, und damit auch nicht durch den Schlaf ein Schatten von Schwäche aufkäme, wenn sie ihn zur Hinrichtung führten. Die ganze Zeit, bis zum letzten Moment seines Lebens arbeitete er intensiv an der Lösung eines mathematischen Problems — der Teilung des Dreiecks in drei gleiche Teile, das er, als er es gelöst hatte, der Universität zu übergeben bat. Er hatte die Kraft, seine Arbeit noch nach dem Urteil, möglicherweise wenige Stunden vor der Hinrichtung, abzuschreiben. Nachdem das Urteil verlesen worden war, erhoben sich die beiden Freunde, vom gleichen Gefühl bewegt, und küßten sich, als ob sie für immer Abschied nehmen und einander für alles danken wollten.

›Ich kann nervöse Menschen nicht ertragen! Sie sind zu großen Taten fähig, aber sie sollten dabei sterben und nicht leben bleiben — dazu reichen ihre seelischen Kräfte nicht aus.‹ ›Wir von der Totenkammer‹, sagte er von sich.«   - Nach: Boris Savinkov, Erinnerungen eines Terroristen. Nördlingen 1985 (Die Andere Bibliothek 4, 1985, zuerst 1917)

Minuten, letzte (2)
 

Minute Stündchen, letztes Ende

 

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