ilieu Die
amerikanischen Unterweltler fangen in den 20er Jahren als kriminelle Handlanger
an. Zwanzig oder vierzig Jahre später sind sie gutsituiert und in allen
Schlupfwinkeln des sozialen Systems installiert. Die französische Unterwelt
ist anders. Auch die Ganoven wollen an Villon anknüpfen. Ihr Anarchismus
ist reaktionär, und sie hören nicht auf, den Lauf der Zeit zu beklagen,
der immer mehr Organisation und Lohnarbeitertum mit sich bringt. Ihre Gegen-Gesellschaft
ist für sie die einzig gute Gemeinschaft, die einzige Gemeinschaft, die
existiert: Sie nennen ihr Milieu Das Milieu und sich selbst Die Männer.
Der Rest der Gesellschaft ist nichts als ein nach Schweiß stinkender Haufen,
den Politikern unterworfen und die Flics fürchtend. Das Thema der Ganoven-Romane
ist fast immer der Lauf der Zeit und die Dekadenz
des Milieus, heimgesucht von den Jungen, den Ausländern, ja sogar - Gipfel
des Entsetzens - den Arabern und Päderasten (die immer Spitzel sind). - Jean-Patrick Manchette, Chroniques. Essays
zum Roman noir. Heilbronn 2005 (DistelLiteraturVerlag, zuerst 1996)
Milieu
(2) Aus dem Chaos werden
Milieus und Rhythmen geboren. Das ist das Thema
der ältesten Kosmogonien. Auch das Chaos hat
Richtungskomponertten, die seine eigenen Ekstasen
sind. Wir haben an anderer Stelle gesehen, wie alle Arten von Milieu, die jeweils
durch eine Komponente bestimmt sind, sich im Verhältnis zu einander, über einander
verschoben haben. Jedes Milieu vibriert, das heißt, es ist ein Block aus Raum
und Zeit, der durch die periodische Wiederholung der Komponente gebildet wird.
So hat das Lebendige ein äußeres Milieu aus Materialien, ein inneres Milieu
aus zusammensetzenden Elementen und zusammengesetzten Substanzen, ein Zwischen-Milieu
aus Membranen und Grenzen und ein annnektiertes Milieu aus Energiequellen und
Wahrnehmungen-Handlungen. Jedes Milieu ist codiert, wobei der Code durch die
periodische Wiederholung bestimmt wird; aber jeder Code befindet sich im Zustand
ständiger Transcodierung oder Transduktion. Transcodierung oder Transduktion
ist die Art und Weise, in der ein Milieu einem anderen als Grundlage dient oder
sich umgekehrt auf einem anderen bildet, sich im anderen auflöst oder konstituiert.
Gerade der Begriff des Milieus ist nicht einheitlich: nicht nur das Lebendige
geht ständig von einem Milieu ins andere über, sondern auch die Milieus gehen
vom einen zum anderen über und sind ihrem Wesen nach kommunizierend. Die Milieus
sind offen für das Chaos, das sie zu zerrütten oder zu durchsetzen droht. Aber
der Rhythmus ist das Gegenmittel der Milieus gegen das Chaos. - Deleuze
/ Guattari, Tausend Plateaus. Berlin 1992
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